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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Schweden liegend, mit plötzlicher Vehemenz den befehlshabenden Offizier zu sprechen wünschte. Der Hauptmann allerdings betrachtete ihn stumm. Auch auf Berninas Bitte, den Verwundeten von einem Arzt versorgen zu lassen, reagierte der Mann nicht im Geringsten.
    Dann hieß es warten. Im Schuppen roch es nach Heu und Vieh. Eine niedrige, schadhafte Decke, die von Balken gestützt wurde, schiefe Wände. Mentiri lag auf einer Decke, die Wangen eingefallen, längst wieder in einen tiefen Schlaf gefallen. Bernina und Nils saßen gemeinsam mit Lottinger und Ferdinand in seiner Nähe. Schweigen hatte sich zwischen ihnen ausgebreitet.
    Gegen Mittag tauchte der Hauptmann auf, begleitet von zwei Untergebenen. Mentiri wurde geweckt und aufgefordert, sich zu erheben. Bernina protestierte, ohne Erfolg. Zum ersten Mal, seit Alwine gestorben war, stand er auf den eigenen Beinen. Der Offizier ließ ihn nach draußen bringen und abführen. Aus einer schmalen Fensteröffnung verfolgte Bernina, wie der alte Mann mit seinem schleppenden Schritt, rechts und links von ihm jeweils ein Bewacher, im Eingang des Klosters verschwand.
    »Die Kerle, die uns gestern überfielen, und diese Soldaten hier gehören nicht zusammen.« Norby trat hinter sie und legte die Hand sanft auf ihre Schulter.
    »Das ist mir auch klar geworden. Aber ich bin mir nicht so sicher, ob uns das viel nützen wird.«
    »Weißt du, was mit den Wagen geschehen ist?«
    Bernina hob die Schultern. »Vorhin hat man sie weggefahren. Wo sie jetzt sind – ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
    »Und ich habe kein gutes Gefühl, was Mentiri betrifft. Bei diesem komischen Vogel weiß man einfach nie, woran man ist.«
    »Im Moment können wir lediglich hoffen.«
    »Auf was auch immer.« Nils drehte sich weg vom Fenster, um sich zu den anderen beiden Männern zu setzen.
    Von Neuem begann das Warten, das lediglich von Essen und Trinken unterbrochen wurde. Durch eine der Fensteröffnungen reichte man ihnen Schüsseln mit gebratenem Hammel, einen großen Laib Brot und tönerne Krüge mit Wasser. Trotz ihrer ungewissen Lage waren sie hungrig. Deutete etwa die Güte des Fleisches darauf hin, dass man es gar nicht schlecht mit ihnen meinte – oder stellten die Gaben eine Henkersmahlzeit dar?
    Plötzlich sprang die Tür des Schuppens auf, und Mentiri betrat den niedrigen Raum. Mit einer Hand stützte er sich an einem der grob gezimmerten Deckenbalken ab, doch er sah kräftiger, besser, lebendiger aus als zuletzt. In sein Gesicht war Farbe zurückgekehrt. Erstaunlich, welch geradezu frischen Eindruck er machte. Sein linker Arm hing in einer blitzsauberen weißen Schlinge. Ein Funkeln beherrschte seine Augen.
    »Es geht los«, war das Erste, was er von sich gab. Die Erregung, die ihn ergriffen hatte, war für alle offensichtlich. »Hoch mit euch, meine geschätzten Freunde, es geht los!«
    Berninas Blick ruhte auf der Ledertasche, die er über der rechten Schulter trug. Also war er in der Zwischenzeit nicht nur behandelt worden, sondern zudem bei den Wagen gewesen. Während ihrer Bemühungen, Mentiri zu pflegen, hatte sie überhaupt nicht mehr an die Tasche gedacht. Ihm jedoch schien sie überaus am Herzen zu liegen.
    »Folgt mir, meine Freunde«, drängte er.
    »Heißt das, dass wir keine Gefangenen mehr sind?«, wollten Lottinger und Ferdinand wie aus einem Munde wissen.
    »Genau das heißt es«, bemerkte Mentiri lachend. »Wir sind Gäste. Wenn ihr mich fragt, sogar Ehrengäste. Jedenfalls beinahe.«
    Diesmal wurden sie von dem Hauptmann und zwei Soldaten nicht bewacht, sondern eher geleitet. Sie hielten fast schon respektvollen Abstand. Mentiri ging voran, offensichtlich wie neu belebt.
    Sie hielten auf das große leinenfarbene Zelt zu, das ihnen bereits bei der Ankunft aufgefallen war. Eine Plane, die den Eingang bildete, war zusammengerollt und mit einer Kordel festgebunden worden. Bernina wurde bewusst, wie schnell auf einmal alles ging – so lang, mühsam und gefahrvoll war der Weg hierher gewesen, ein Weg, der schon mit Mentiris Eintreffen in Teichdorf und dem Auftauchen der drei schwarz gekleideten Männer seinen Anfang genommen hatte. Hier schien er ein Ende zu finden, in diesem Zelt.
    Sie betraten es, nacheinander, Mentiri weiterhin an der Spitze, dann blieben sie stehen. Eine lange Tafel, die nahezu die gesamte Zeltbreite einnahm. An ihr saßen Männer von ehrwürdiger Ausstrahlung. Einige davon sehr vornehm, aber dennoch unauffällig gekleidet, nickten Mentiri aufmunternd zu.

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