Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Zimmer. Sie hatte alles vorhergesehen: Begegnungen, Orte, Menschen. War das das Erbe der Krähenfrau? Zwischen Himmel und Erde geschieht vieles, wofür wir niemals eine Erklärung finden werden – das hatte ihre Mutter immer gesagt.
»Wie ich erfahren habe«, durchbrach Mentiri erst nach einigen Minuten die Stille, »laufen die Gespräche in dem Zelt da draußen recht gut. Wenn auch nicht so gut … « Ein Hustenanfall stoppte ihn. Er zog ein weißes Tuch hervor, wischte sich fahrig über den Mund, und als er es verschwinden ließ, wies es einen unübersehbaren roten Fleck auf. »Wenn auch nicht so gut«, setzte er von Neuem an, »wie sie laufen könnten.«
»Das tut mir leid«, äußerte Bernina abwartend.
»Ach, noch besteht kein Grund, die Zuversicht zu verlieren. Alle möchten den Frieden, aber keiner will dafür das Wagnis eingehen, auf irgendetwas verzichten zu müssen. Sei es Macht, sei es Einfluss, sei es lediglich ein gewisses Maß an aufregender Abendunterhaltung. Möglicherweise ringt Maximilian selbst noch mit sich. Doch wie gesagt, ich gebe die Hoffnung auf einen guten Ausgang der Konferenz keineswegs auf. Und außerdem … « Er wollte noch etwas hinzufügen, verstummte jedoch sofort, als eine weitere Person den Raum betrat.
Aus unmittelbarer Nähe wirkte der Kurfürst mit seiner pergamentenen Gesichtshaut und der gebeugten Haltung noch älter, beinahe greisenhaft. Allein seine Augen brachten den wachen Geist zum Ausdruck, der ihm innewohnte. Er lächelte.
Mentiri verbeugte sich, Bernina machte einen Knicks.
»Zwei müde alte Männer«, meinte Maximilian sanft. »Eine schöne junge Frau wie Sie könnte sich gewiss erfreulichere Gesellschaft vorstellen.« Es war das erste Mal, dass er Bernina persönlich ansprach. Sein Blick wanderte an ihr auf und ab, schien von ihren Augen angezogen zu werden.
Sie erwiderte nichts darauf.
»Warum stehen wir eigentlich herum?« Eine einladende Geste der knochigen weißen Hand des Kurfürsten. »Setzen wir uns doch.«
Sie nahmen Platz, Maximilian am Kopf des Tisches, Mentiri und Bernina nebeneinander zu seiner Rechten.
»Es ist sehr großzügig«, sagte Mentiri respektvoll, »uns diese Audienz zu gewähren.«
»Audienz? Nennen wir es einfach eine Unterhaltung unter Menschen, die einander freundlich gesinnt sind.« Erneut betrachtete er Bernina.
Vor dem Fensterglas ballte sich Dunkelheit, von einem Wimpernschlag zum nächsten war der Tag verschwunden. Der Flammenschein der Kerzen ließ die Gesichter der beiden Männer für Berninas Empfinden noch weißer, noch durchscheinender, geradezu unheimlich wirken. Es war merkwürdig und verwirrend für sie, bei dieser Unterredung zugegen zu sein.
Mentiri holte Luft, unterdrückte ein Husten und sagte: »Ich habe einen besonderen Moment abgewartet, um Seiner Hoheit ein besonderes Geschenk zu überreichen.«
»Nennen Sie mich Kurfürst, das ist mein Titel, so kann man mich ansprechen.« Maximilian schaute von Mentiri zu Bernina und wieder zurück. »Und was soll das heißen? Erneut ein Geschenk?« Er lachte.
Auffallend ernsthaft entgegnete Mentiri: »Es geht um ein sehr persönliches Präsent.« Er zögerte einen Moment lang. »Eines, das viel zu schade wäre, um es den Augen einer großen Runde vorzuführen.«
»So?« Der Kurfürst schien überrascht.
Mentiri machte sich an seiner Tasche zu schaffen und holte einen zusammengeschnürten Packen aus Leinen heraus, den er auf den Tisch legte. Abermals atmete er tief durch. Er öffnete den Knoten und schlug den Leinenstoff zurück. Darunter kam eine weitere Schutzhülle zum Vorschein, diesmal dünnes, glatt geschabtes Leder, vielleicht von einer Ziege. Als er nun auch das Leder entfernte, lag ein dicker Stoß aus Papierbögen, beschrieben mit schwarzer Tinte, hier und da mit abgeknickten Ecken und kleinen Einrissen, auf der Tischplatte.
Bernina kannte diese Seiten. Vor vielen Wochen hatte sie Mentiri aus ihrer Truhe auf dem Petersthal-Hof gestohlen. Seit er ihr die Geschichte über den Herzog erzählt hatte, wartete sie darauf, dass die Chronik ihres Vaters endlich zur Sprache käme. Jetzt war der Augenblick da.
»Sie haben mich also angelogen«, wandte sie sich an Mentiri. »Sie sagten mir, Sie besäßen diese Schrift nicht mehr.«
»Falsch.« Er lächelte. »Sie fragten, ob sie sich auf dem Wagen befinden würde. Das konnte ich verneinen. Denn ich bewahrte sie in meiner Tasche auf.« Mit entwaffnend spitzbübischem Ausdruck schmunzelte er bei diesen Worten.
»Was
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