Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
Vom Netzwerk:
Flüstern wirkte verloren. »Das Grüne Horn.«
     
    *
     
    Ein übler Gestank schlug ihnen ins Gesicht. Abgestandener Pfeifen- und Kohlenrauch vermischte sich mit dem Aroma von Sägemehl und Pech beschmiertem Holz. Die Ausdünstungen eines Raumes, der nie einen Besen gesehen, der nie frische Luft geatmet hatte. Rohgezimmerte Möbel, ein uralter Herd. Wuchtige Deckenbalken durchzogen den Raum. Unzählige eselsohrige Handzettel vergilbten an den Wänden. Klein und schmerbäuchig der Wirt mit seinem schmuddeligen Schürzentuch.
    Etliche Gäste, Ellbogen an Ellbogen. Augen richteten sich jäh auf Berninas schlanke Gestalt. Ihr langes blondes Haar war verborgen unter dickem Stoff, ihr Gesicht fast zur Hälfte verdeckt. Die Blicke glitten von ihr zu Baldus, tasteten so offen wie argwöhnisch seinen missgebildeten Körper ab. Dicht nebeneinander zogen sie sich in den einzigen freien Winkel zurück: Die Ecke, die am weitesten von dem vordersten, allein dastehenden Tisch entfernt war. Das war wohl der Auktionstisch, denn unter seine Beine hatte man grobe Holzklötze geschoben, um ihn zu erhöhen.
    Dahinter stand ein Mann, der sich gerade als Herr von Lichtenfels vorstellte. Feines, aber doch schon ramponiertes Wams, verschlagener Ausdruck, Schweiß auf der Stirn.
    Bernina roch den Mief, sie musterte ihre Umgebung – und sie zweifelte, zweifelte mächtig. Dem verworrenen Weg, der von der Chronik ihrer Familie zu diesem gewissen Mentiri und schließlich hierher geführt hatte, war mehr zu misstrauen denn je. Gab es eine solche Verbindung überhaupt? Unwillkürlich sah sie im Geiste Mentiri vor sich: die Augenklappe, die feine Kleidung, das Samtbarett, das sich über dieses geradezu unnatürlich glänzende Schwarzhaar stülpte. Niemand hier, auf den diese Beschreibung auch nur annähernd passte, und erst jetzt, als sie abermals diese bunte Versammlung begutachtete, entdeckte sie drei Gestalten, die ihr heute schon einmal aufgefallen waren. Männer, auf die man lieber nicht allein treffen wollte – und die während des gezinkten Würfelspiels hinter Lorentz Fronwieser gestanden hatten, als gehörten sie zu ihm.
    Die Stimme von Herrn von Lichtenfels erfüllte den Raum, die Auktion begann. Während sie dem Auktionator zuhörte, lauschte Bernina gleichzeitig mit halbem Ohr dem Gespräch zweier Männer, die in ihrer Nähe standen, hölzerne Bierkrüge in den Händen. Sie unterhielten sich über die letzte Auktion. Offenbar hatte man damals seltene Stücke edlen Silberhandwerks angekündigt, die sich allerdings als gewöhnliche Löffel und Tischmesser entpuppten. Und davor wiederum waren verrostete Stichwaffen aus dem großen Krieg unters Volk gebracht worden.
    »Ist doch alles nur Betrug, was in diesen Mauern läuft«, schloss einer der Männer mit spöttischer Miene.
    Also fanden hier regelmäßig derartige Veranstaltungen statt – was Bernina wiederum seltsam vorkam. In der Tat, das Grüne Horn war ein Ort, den es mit Vorsicht zu genießen galt.
    Ein weiterer Gast mischte sich in die Runde, leise, unauffällig, eine lederne Tasche mit sich führend. Dunkelbraun der Umhang, der die Gestalt verhüllte, dunkelbraun auch der Hut. Es handelte sich um einen älteren Mann, der im Gegensatz zu den übrigen Anwesenden eine gewisse Würde zu vermitteln wusste. In sauberer V-Form getrimmt der Bart, das silbergraue Haar legte sich in Wellen auf die Schultern. Etwas Geziertes haftete seinen Bewegungen an, auffällig war allein schon die Art, wie er mit der Linken den Umhang zuhielt. Unter der Hutkrempe maßen wache Augen die Umgebung.
    Lange betrachtete Bernina ihn, verstohlen und aufmerksam in einem. Er kam ihr vertraut vor, wenn sie sich auch keineswegs den Grund dafür erklären konnte.
    Unterdessen hatte Herr von Lichtenfels die ersten Posten zur Versteigerung gebracht. Dank ihrer Freundin Helene und deren umfangreicher Bibliothek verstand Bernina durchaus etwas von Büchern – Helene war es gewesen, die Bernina Lesen und Schreiben beigebracht hatte. Und so war ihr ziemlich schnell klar, dass die heute zur Wahl stehenden Exemplare keinerlei Besonderheiten aufwiesen. Stücke mit gewöhnlichem Buckram- oder Leineneinband wurden als allerfeinste Dublüre oder vorzüglich gepresstes Saffianleder angepriesen. »Handgeprägt, verschwenderisch ausgestattet«, rief von Lichtenfels immer wieder aus, ohne damit großen Eindruck zu schinden. »Und hier«, fuhr er unverdrossen fort, »verschiedene Werke, die dem Buchbinder des verstorbenen Kaisers

Weitere Kostenlose Bücher