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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Kurz darauf, nachdem sie auf dem Markt eine Mahlzeit aus gebratenem Hammelfleisch und Rüben zu sich genommen hatten, kehrten Bernina und Baldus zurück in ihr Quartier.
    Eine laute Stimme empfing sie: »Mach, dass du fort kommst, du verdorbenes Weibsstück.«
    Eine junge Frau wurde aus der Tür geschleudert und landete im Schmutz neben den angeleinten Pferden. Der Wirt erschien im Freien, die Faust erhoben: »Deine Bettelei dulde ich nicht länger, ich sagte es dir bereits!«
    Bernina half der dünnen Frau auf. Erst jetzt erkannte sie sie. Eine Haube sollte die Tatsache verbergen, dass das Haar geschoren worden war. Das Gesicht, das unter dem Stoff zum Vorschein kam, war schmal. Hohle Wangen, eine kleine Stupsnase, helle, fast wässrige Augen.
    »Hau endlich ab!«, bellte der Wirt erneut.
    »Beruhigen Sie sich«, meinte Bernina geringschätzig. »Von ihr droht Ihnen bestimmt keine Gefahr.«
    »Gefahr nicht, aber reichlich Ungemach.« Er spuckte aus und verzog sich ins Innere des Hauses.
    Es handelte sich tatsächlich um das arme Ding, das tags zuvor am Schandpfahl den Schmähungen ausgesetzt gewesen war.
    »Du bist ja klapperdürr«, sagte Bernina zu ihr. »Hast sicher Hunger, was?«
    Ein heftiges Nicken war die Antwort.
    »Wie heißt du?«
    »Alwine.«
    »Ich bin Bernina.« Sie überlegte kurz. »Es gibt einen Hintereingang.«
    »Ja, den kenne ich.«
    »Schleich dich unauffällig dorthin, ich werde dich dann in Empfang nehmen.«
    »Aber der Wirt … «
    »Wenn du vorsichtig bist, wird er nichts davon mitbekommen.« Aufmunternd lächelte Bernina sie an. »Wir haben noch Proviant von der Anreise in unserer Stube.«
    Die junge Frau nickte, musterte Baldus, dann entfernte sie sich rasch.
    Bernina sah ihr nach. »Nils würde sagen, ich solle meine Nase nicht in Dinge stecken, die mich nichts angehen.«
    »Und Sie würden – wenn Sie mir die Bemerkung gestatten – nicht auf ihn hören.«
    Kurz darauf befanden sie sich zu dritt in der Herbergsstube und die junge Frau machte sich mit Heißhunger über Räucherwurst und Brot vom Petersthal-Hof her. Anschließend breitete sich Müdigkeit auf ihren Zügen aus, sie wirkte abgekämpft, die Haut ihrer Wangen war fleckig. Während Baldus taktvoll Abstand zu ihr hielt, so gut die engen Mauern es zuließen, setzte sich Bernina mit einem aufmunternden Nicken neben sie. Dicht beieinander hockten sie auf einer Decke und Alwine begann, ohne dass sie dazu aufgefordert worden wäre, die traurige Geschichte ihres Lebens zu erzählen.
    Als Tochter einer allseits bekannten Hure hatte Alwine schon als Kind die Welt der Liebesdienste kennengelernt. Ihrem Vater war sie nie begegnet. Mit ihrer Mutter, in deren Gewerbe sie mit 14 Jahren eingeführt wurde, wohnte sie lange Zeit im Frauenhaus, das dem Freiburger Scharfrichter unterstand. Oft erlebte Alwine, dass sie und die anderen Huren geprellt oder gar von Kunden mit absonderlichen Vorlieben geschlagen wurden. Fehlte die Entlohnung, folgten auch vom Scharfrichter derbe Hiebe.
    Ein einziges Mal in all den Jahren gelang es Alwine, aus dem trostlosen Alltag auszubrechen. Sie wurde aufgefordert, einem Büßerinnen-Konvent beizutreten. Hoffnungsvoll tauchte sie in eine völlig neue Welt ein. Doch die strenge Zucht, die Ordnung, das fortwährende Beten, sowohl allein als auch in Gesellschaft, ließen sie erneut zu einer Flüchtenden werden. Allein und richtungslos wurde sie rasch zurückgespült in die einzige Umgebung, die ihr vertraut war. In einem als Spinnhaus getarnten Gebäude hatte Alwine von nun an Männer empfangen, als Teil eines Quartetts junger Frauen, die alle ein ähnliches Schicksal teilten. »Eine Stunde wurde gesponnen und gewebt«, erklärte Alwine, »der Rest des Tages und die ganze Nacht lang wurden die Betten geklopft. Wenn Sie verstehen, was ich meine. Vor Kurzem jedoch stürmten Ehefrauen von regelmäßig dort verkehrenden Herren in das Haus. Es gab ein ordentliches Durcheinander, die Einrichtung ging zu Bruch, die Damen waren auf Gewalt aus.« Alwine lachte trocken auf. »Den anderen Huren gelang die Flucht, ich wurde geschnappt. Tja, der Schandpfahl wartete schon sehnsüchtig auf mich.«
    »Und nun?«, fragte Bernina leise. »Was soll aus dir werden?«
    »Man muss sehen, dass man den Kopf über Wasser hält.« Alwine beäugte ihre Gastgeberin auf eigenartige Weise, als würde sie innerlich mit sich ringen. Dann senkte sie rasch den Blick.
    Bernina erhob sich und trat ans Fenster. Sie beobachtete die sich langsam in die

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