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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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abgelehnten Würfel in den Falten des Wamses zu verstauen, passierte es: ein leichtes Drehen mit dem Oberkörper, eine geschickte Armbewegung, alles flink, kaum wahrnehmbar. Schon waren die Würfel vertauscht und die abgelehnten dem Bauern übergeben.
    Münzen wurden auf das Podest gelegt.
    Dreimal würfelte der Bauer, die Ergebnisse zählte man zusammen.
    »Der Herrgott scheint’s gut mit Ihnen zu meinen«, merkte Lorentz Fronwieser an, als akzeptiere er seine Niederlage. Nun ergriff er die Würfel, die jedoch seiner Hand entglitten, und beim Aufheben fingerte er erneut flink an seinem Wams herum.
    Als er wieder aufrecht stand, schüttelte Fronwieser lange und theatralisch die aus bleichen Knochen geschnitzten Augenwürfel in seiner geschlossenen Faust. Dabei grinste er, und der Bauer fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen.
    Dreimal würfelte Fronwieser, dreimal die gleiche Augenzahl, und ein Zusammenzählen war gar nicht erst nötig. Mit bekümmerter Miene schaute der Bauer auf die Münzen, von denen er sich nun auf ewig verabschieden musste.
    Bernina zwängte sich zwischen Ellbogen und Schultern hindurch, bis sie dem Holzpodest ganz nahe war, mühsam gefolgt von Baldus, der darauf achtete, dass nicht zu viel Abstand zu ihr entstand.
    Blitzschnell griff sie an Fronwieser vorbei, schnappte sich die Würfel und ließ sie über die Oberfläche hüpfen.
    Erneut die gleiche Augenzahl.
    Dem Betrüger klappte die Kinnlade nach unten. Zahnstummel wechselten sich mit klaffenden Lücken ab. Zwiebeliger Mundgeruch hüllte Bernina ein. Er versuchte, nach den Würfeln zu greifen, aber sie war schneller.
    Erneut das gleiche Ergebnis.
    Der Betrogene lief rot an. »Was wird denn hier gespielt?«, kreischte der Mann wütend, und diesmal verlor Lorentz Fronwieser keine Zeit. Er humpelte davon, lediglich sein Schlapphut war noch ein paar Augenblicke lang zu sehen, schon war er untergetaucht, schneller als die meisten Menschen mit zwei gesunden Beinen. Überraschend behände ließ er sich von der Menge schlucken. Und mit ihm lösten sich auch die finsteren Kerle in Luft auf, die eben noch in seiner Nähe gestanden hatten.
    Bernina schob dem Betrogenen die Münzen zu.
    »Vielen Dank«, stammelte er, zwischen Erschrecken und Erleichterung schwankend.
    Sie nickte ihm zu, verständigte sich mit Baldus durch ein Zwinkern und ging davon – nicht ohne die Würfel an sich genommen zu haben.
    »Was haben Sie damit vor?«, erkundigte sich der Knecht.
    »Gar nichts.« Sie schmunzelte. »Das ist ein kleines Andenken. Doch wer weiß – vielleicht sehen wir den hinterhältigen Burschen ja wieder.«
    »Ha! Und dann stopfen wir ihm die Würfel in seinen Schlund!« Er musterte sie wie zuvor schon einmal. »Sie wussten es von Anfang an. Woher?«
    »Aus einem anderen Leben, wie es mir beinahe erscheint.« Ihr Blick schweifte ab. »Einst kannte ich eine Gauklertruppe, ich reiste mit ihr. Diese Leute waren Akrobaten und traten auf Jahrmärkten auf. Bei solchen Gelegenheiten traf ich auf viele Männer wie diesen Fronwieser. Betrüger, die ehrlichen Leuten auf jede erdenkliche Art das Geld aus der Tasche schwindelten.« Nur kurz gab sich Bernina der Erinnerung an die kurze Phase ihres Lebens hin, der einzigen, in der sie sich für längere Zeit von den heimischen Schwarzwaldtälern entfernt hatte, Anselmo zuliebe, ihrer ersten großen Liebe. Dann jedoch hatte sie den Petersthal-Hof geerbt, und die Wurzeln, die sie dort schlug, gruben sich immer tiefer in die Erde.
    Sie setzten ihren Weg fort und suchten zum zweiten Mal an diesem Morgen den Herbergshof auf, in dem Helene für gewöhnlich abstieg. Doch nach wie vor war Berninas Freundin nicht eingetroffen.
    »Aus östlicher Richtung reist Ihre Bekannte an?«, meinte der Wirt. »Von dort kommen keine guten Nachrichten. Ich würde mich nicht darauf verlassen, dass Reisende … « Er brach ab.
    »Keine guten Nachrichten?«
    »Sie haben es gewiss längst gehört.« Ein rasch hingewischtes Kreuzzeichen. »Der Krieg wandert wieder auf uns zu, diese Bestie, die niemals stirbt. Man spricht von einer Armee, einem mächtigen Heer, das Blut und Tod bringen wird.«
    Bernina dachte an Helene. Womöglich hatte ihre Freundin die Reise nach Baden abgebrochen, weil die Gerüchte auch sie erreicht hatten. Das war denkbar.
    Ehe Bernina sich verabschiedete, stellte sie abermals ihre Fragen – nach der Auktion, nach dem Silbernen oder Goldenen Horn. Aber hier erhielt sie ebenfalls keine brauchbaren Antworten.

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