Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Haupthauses und die Nebengebäude des Hofes. Der Dritte hob plötzlich den Degen in die Luft, bereit für einen fürchterlichen Schlag. Baldus presste die Augen zu, und Bernina trat hinaus ins Tageslicht. Fast zeitgleich wurde die Luft erfüllt vom Dröhnen zahlreicher Hufe.
Berninas Kopf ruckte herum.
Was sie sah, löste ihre Anspannung. »Nils!« Ihre Stimme hob sich über den Hof hinweg.
Norby hatte einigen Vorsprung vor dem Rest der Bürgerwehr – aber dennoch war er nicht schnell genug.
Die drei Fremden saßen bereits wieder alle im Sattel. Sie verständigten sich mit raschem Kopfnicken. Hart schlugen sie die Fersen ihrer schweren Stiefel in die Flanken der Tiere, die schlagartig lospreschten.
Norby folgte ihnen, während ihm wiederum seine Helfer auf den Fersen blieben, und Bernina konnte nichts anderes tun, als hilflos hinterherzuschauen. An ihre Seite war Baldus geeilt, der den Schreck schon verdaut zu haben schien. Auch sein banger Blick war auf die Fremden und die Bürgerwehr gerichtet. Das Hämmern der Hufe verklang. Zurück blieb eine Stille, der etwas Unheimliches anhaftete.
Und so hieß es warten, nichts als warten. Norby und sein Gefolge waren klar in der Übermacht, doch die Unbekannten hatten Eindruck hinterlassen. Der Hauch des Todes war von ihnen ausgegangen, von ihren unerbittlichen Blicken, die wie Dolche in die Umgebung stachen, von der Art, wie sie sich bewegten – beherrscht und unaufgeregt – und wie sie die Waffen in der Hand hielten, als wäre der Degen die natürliche Verlängerung der Hand. Kaltblütig und skrupellos, Gefahr und Gewalt: Diese Fremden waren keine gewöhnlichen Männer, und wenn Bernina sie mit den braven Bürgern und Bauern der Wehr verglich, machte ihr das gewiss keine Hoffnung. Eher kam es ihr vor, als hätte Norby genauso gut allein die Verfolgung aufnehmen können – gegen so gefährliche Gegner würden die Leute aus Teichdorf ihm kaum eine große Hilfe sein.
Warten, nichts als warten. Sie versuchte, sich mit den täglichen Arbeiten abzulenken. Reife Früchte dörren, Heringe pökeln, Brot backen. Aber die bange Ungewissheit hielt sie fest im Griff. Sie wog ab, nach Teichdorf zu gehen und sich nach Mentiri zu erkundigen. Rasch verwarf sie den Gedanken wieder. Dieser Mann würde es ihr nicht so einfach machen, ihn erneut zu Gesicht zu bekommen, das spürte sie. Die Sonne wurde von weiteren Wolken verdeckt, aus denen sich jedoch kein einziger Regentropfen löste, die schmierige Hitze blieb. Aus den Wäldern waberten Gerüche nach Harz und Tannen. Eine gewisse Müdigkeit und die Angst um Nils verfolgten Bernina bei jedem Schritt. Auf der Schwelle zur Wohnküche hielt sie inne, um durchzuatmen.
Plötzlich war ihr, als lege sich ein Schleier über ihre Augen, und doch sah sie etwas wie hinter einer Nebelwand, ein seltsames schwarzes Loch, eher eine Art Grotte. Wie in einem Traum schien sie sich darauf zuzubewegen, auf einmal verspürte sie Hitze und Kälte zugleich, ein Unbehagen, gar Furcht. Gestalten erwuchsen aus dem Nichts, deren Gesichter nicht zu erkennen waren, Bernina erzitterte, sie schüttelte sich, und so schnell, wie die Grotte erschienen war, löste sie sich in Luft auf. Bernina schluckte. Sie starrte in die Wohnküche, misstrauisch, als könnte dieser vertraute Raum eine Täuschung sein.
»Was war das?«, fragte sie laut in die Stille, wie um sich an der eigenen Stimme ein wenig festhalten zu können. Eine Vorahnung? Eine Vorahnung auf etwas Furchtbares? Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Wo war Nils? Was war inzwischen geschehen? Wäre er doch nur wieder zurück. Bernina fasste sich und ging in die Küche, um sich auf einen der Stühle zu setzen. Allein fühlte sie sich, verdammt allein.
Der Nachmittag war beinahe vorüber, als sich eine einsame Gestalt auf einem von Schweiß und Schaum bedeckten Pferd dem Hof näherte.
Bernina trat vors Haus, gefolgt von Baldus, und wartete, bis das völlig erschöpfte Tier versorgt war. Sie sagte kein Wort, als Nils sie in die Arme schloss, und hörte nichts bis auf das flinke Schlurfen des Knechtes, der sie beide mit seiner typischen rücksichtsvollen Art allein ließ.
»Du hast doch nicht etwa gedacht, ich würde auf ein Abendessen mit dir verzichten?«, fragte Nils ironisch.
Sie lachte, erkannte aber, wie gezwungen es sich anhörte. »Du bist allein?«
»Die anderen befinden sich auf dem Rückweg ins Dorf. Ihren Tieren geht es noch wesentlich schlechter als meinem – die Gäule taugen für den
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