Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Truhe?«
»Ja.«
Bernina hatte ihren Vater, Robert von Falkenberg, nie kennengelernt, er verstarb, als sie noch ein Kleinkind gewesen war. Von ihm hatte sie den Hof geerbt – und seine selbst verfasste Chronik über die Familie von Falkenberg, deren jüngster Spross Bernina war.
»Merkwürdig«, murmelte Nils vor sich hin. »Ich meine, sonst hat er tatsächlich nichts geklaut?«
»Nein. Er hat wohl das ganze Erdgeschoss durchsucht, als ich noch schlief. Stell dir vor: Zum Dank für das Dach über dem Kopf hat er sogar Geld zurückgelassen.« Sie holte die Silberlinge, die sie in einer Schublade verstaut hatte, und legte sie vor Nils auf die Tischplatte.
»Ich verstehe das nicht«, meinte er. »Diese Aufzeichnungen – wie können die einem Fremden von Nutzen sein?«
»Ich verstehe noch nicht einmal, woher ein Außenstehender überhaupt von ihnen wissen konnte.«
»Dann ist mir nicht klar, wie du hier so ruhig sitzen kannst. Und warum du mir nicht gleich davon erzählt hast.« Er stand auf. Der Schatten seiner breiten Statur fiel auf den Tisch. »Ich werde sofort aufbrechen und mich nach dem Kerl umsehen.«
»Wie gesagt, andere Dinge waren wichtiger. Ich hatte Angst vor den drei Reitern. Und von der Chronik hängt unser Leben nicht ab.«
»Das nicht. Aber sie bedeutet dir sehr viel. Ich werde rasch nach Teichdorf reiten. Wahrscheinlich ist der Mann dort wieder aufgetaucht.«
»Mentiri.« Bernina hob unschlüssig die Schultern. »So stellte er sich vor.«
»Wie auch immer er heißen mag – ich kriege ihn.«
Er wollte zur Tür hasten, aber Bernina legte ihm die Hand auf den Oberarm. »Lass doch, Nils. Morgen ist auch noch ein Tag. Eines der Pferde lahmt, das andere ist am Ende der Kräfte. Und zu Fuß dauert es zu lange. Außerdem sagt mir mein Gefühl, dass du ihn nicht finden wirst.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich kann es dir nicht erklären. Aber dieser Mann … Da steckt mehr dahinter. Er ist keiner, der etwas an sich nimmt, was ihn nichts angeht, und sich dann einfach am Kragen schnappen lässt.«
»In Teichdorf kam er mit einem Reitpferd an.«
»Das wusste ich nicht. Hier war er ohne Pferd unterwegs.«
»Er passt ohnehin eher auf die Polster einer eleganten Kutsche. Vielleicht hat er das Tier irgendwo im Wald angebunden, bevor er sich dem Hof näherte.« Nils löste ihre Hand von seinem Arm. »Am liebsten würde ich losreiten und mich in Teichdorf vergewissern.«
»Nils. Bitte warte bis morgen.«
»Hugo wird eben noch einmal seine Hufe schwingen müssen.«
»Nils … «
»Andererseits schmeckt es mir auch nicht, dich allein zu lassen, gerade nachts.«
Schließlich brach Nils erst am nächsten Morgen auf. Und es dauerte bis zum Mittag, ehe er zurückkehrte. Wie Bernina es geahnt hatte, ohne etwas in der Hand zu haben. Mentiri war seit zwei Tagen nicht mehr in Teichdorf gesehen worden. Er hatte seine Rechnung im Gasthof beglichen und das Pferd aus dem Stall geholt. Zuletzt wurde er zu Fuß auf dem Pfad gesichtet, der zum Petersthal-Hof führte, ohne seine Reisetasche, die er im Gasthof noch bei sich hatte.
»Also hat er das Tier tatsächlich versteckt«, erklärte Nils, während er sich in der Küche mit einem Krug Wasser erfrischte. »Dann ist er zu dir auf den Hof gekommen.«
»Um sich«, sprach Bernina weiter, »als verwirrter Wanderer zu präsentieren.«
»Alles war genau geplant.«
»Und nun ist er verschwunden.«
»Ich habe die Gegend komplett abgesucht. Aber es war sinnlos.«
Bernina zuckte ratlos die Schultern und dachte schon an ein anderes Thema, über das sie die ganze Zeit mit ihm reden wollte – auf das er auch nicht gerade freudestrahlend reagieren würde.
»Du erinnerst dich daran, was an diesem Wochenende stattfindet?«
Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. »Du willst doch nicht tatsächlich nach Freiburg?«
»Diesmal ist der Markt etwas Besonderes. Er wird außer der Reihe durchgeführt. Ich möchte mich mit Helene treffen. So lange habe ich sie nicht mehr gesehen.«
Helene war ihre Freundin, die einzige Person, mit der Bernina einen beständigen Briefwechsel pflegte – sie lebte in Franken, und die Gelegenheiten, an denen sich beide Auge in Auge gegenüberstehen konnten, waren selten genug.
»Ich werde dich nicht gehen lassen, Bernina.«
»Wir hatten es doch beschlossen.«
» Du hattest es beschlossen.«
»Baldus wird mich begleiten.«
»Unser Baldus kann mit einer Steinschleuder für mehr Gefahr sorgen als mancher Söldner mit einer Muskete, das gebe
Weitere Kostenlose Bücher