Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
gesagt, als sie ihn bedrohten?«
»Sie wollten wissen, wer sich außer ihm noch auf dem Hof aufhält.« Bernina verschränkte die Arme vor der Brust. »Um mich zu schützen, erklärte er, er wäre allein. Und dann seid ihr bereits herangeprescht.«
»Leider haben diese Männer blitzschnell reagiert. Wir setzten alles daran, sie zu schnappen. Das jedoch blieb ein frommer Wunsch. Die meisten aus der Bürgerwehr fielen sofort weit zurück – ihre Gäule sind einfach zu schwer und zu langsam. Es war nur noch ein Mann bei mir, Hermann Lottinger. Und schließlich gingen die Kerle zum Angriff über. Sie sprangen von ihren Pferden, suchten hinter Baumstämmen Schutz und eröffneten das Feuer. Hermann hat es erwischt.«
»Wie schlimm?«, unterbrach Bernina ihn sofort.
»Nur eine Fleischwunde. Er wurde an der Hüfte getroffen. Mittlerweile ist er in Teichdorf bestimmt schon zusammengeflickt worden. Na ja, er ist ein zäher Kerl, der steckt das mit Sicherheit schnell weg.«
»Dich hätte es ebenso gut erwischen können.«
»Ich hatte Glück. Hugo hat gescheut. Er warf mich ab und galoppierte davon. Du weißt ja, er ist mein Lieblingshengst, aber das war zu viel für ihn. Früher, in der Schlacht, da hatte ich andere Tiere unter mir. Solche, wie diese Männer sie reiten.«
»Und dann?«
»Die Fremden waren anscheinend zufrieden damit, dass sie sich uns vom Hals geschafft hatten – sie verschwanden. Ich kümmerte mich um Hermann und dann darum, Hugo wiederzufinden. Die anderen von der Bürgerwehr tauchten auf. Gemeinsam ritten wir anschließend zurück in Richtung Teichdorf und ich verließ den Trupp dort, wo der Bach sich gabelt.«
»Ich bin einfach nur erleichtert, dass es für dich nicht schlimmer ausgegangen ist.«
Wiederum sah er sie unumwunden an, diesmal allerdings mit ganz anderem Ausdruck. Sein Mund blieb geschlossen und zeigte ein seltsam hintergründiges Lächeln.
»Wie soll ich denn diesen Blick deuten?«, meinte Bernina ihrerseits mit einem Lächeln.
»Wir beide kennen uns ziemlich gut, nicht wahr?«
»Womit muss ich jetzt rechnen? Mit einem Verhör?«
»Wir haben harte Tage durchstanden, aber auch verdammt gute Zeiten gehabt.« Lässig lümmelte er sich auf dem Stuhl. In solchen Momenten hatte er etwas von einem frechen Jungen. »Und wir beide wissen, wenn der jeweils andere … «
»Sag doch einfach, worauf du hinauswillst.«
»Mir ist aufgefallen, dass du dich vorhin ziemlich bedeckt gehalten hast, als wir über diesen komischen Vogel sprachen.«
Nun musste Bernina leise lachen. »Ja, wir beide kennen uns ziemlich gut.«
»Du weißt also etwas über diesen feinen Herrn? Er war hier, stimmt’s?«
»Das war er.«
»Gestern Abend?«
»Und auch heute«, erwiderte Bernina.
»Warum hast du mir das verschwiegen?«
»Weil es nicht der richtige Moment dafür war. Du warst auch so schon angespannt genug und wolltest hinter diesen Kerlen herjagen. Du wärst nur wütend geworden. Und das ohne Grund.«
»Du sagst, heute war er auch da? Du willst mir doch nicht etwa auf deine unvergleichlich bezaubernde Art mitteilen, dass er die Nacht in der Scheune verbracht hat?«
»Nein. Sondern im Haus.«
Nils konnte seine Verblüffung keineswegs verbergen – und seine von Bernina ohnehin erwartete Mischung aus Sorge und Zorn. »Ich finde, das war alles andere als schlau von dir. Es war unvorsichtig, verteufelt unvorsichtig.«
»Ich wusste, was ich tue. Und ich war nicht in Gefahr, da bin ich mir sicher.«
»So vornehm und harmlos sich dieser Wicht auch geben mag – man darf niemandem trauen.« Der Zorn gewann die Überhand, Nils’ Augen blitzten wütend auf.
Und jetzt senkte Bernina zum ersten Mal den Blick, wenn auch nur kurz. »Ich fürchte, was ich dir jetzt erzählen werde, wird dich noch viel wütender machen.«
Er setzte sich auf, runzelte die Stirn und wartete darauf, dass sie weitersprach.
»Es ist durchaus wahr, ich persönlich war nicht in Gefahr. Aber etwas anderes.«
»Das Geld!« Nils kräftiges Kinn ruckte hoch. »Er ist ein billiger Langfinger, wusste ich es doch!«
»Genau das ist dieser Mann eben nicht. Nur was er stattdessen darstellt, das ist weitaus schwerer zu durchschauen.«
»Sonst sprichst du nicht gerade in Rätseln, Bernina. Hat er nun gestohlen oder nicht?«
»Hat er.« Grübelnd nickte sie. »Und zwar die Chronik, die von meinem Vater stammt.«
Verdutzt rollte Nils mit den Augen. »Diesen Wust von beschriebenem Papier … Hm, wo war der eigentlich? In der
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