Die Entscheidung liegt bei dir!
Ihre Berufswahl vielleicht vom Gedanken beeinflusst: »Bei einem anderen Job droht mir später doch die Arbeitslosigkeit.« Das schien Ihnen keine »wirkliche« Alternative, die Sie hätten wählen können, weil Sie zuvor schon eine Entscheidung für ein Leben »jenseits der Sozialhilfe« getroffen hatten.
Ein Bekannter erzählte mir, er sei als kleiner Junge fasziniert von der Seefahrt gewesen. Das Meer, die großen Schiffe, die weite Welt hätten auf ihn eine ungeheure Anziehungskraft ausgeübt. Seine Eltern erzählten aber allen Bekannten schon seit er drei Jahre alt war, dass er sicher einmal Mediziner würde und die elterliche Praxis übernähme. Nach dem Abitur liebäugelte er tatsächlich kurzzeitig mit der Idee, zur See zu fahren. Die Nachricht von der drohenden Medizinerschwemme bewegte ihn stattdessen, noch eben das Studium anzuhängen. Im Urlaub am Meer, den er sich nach dem Studienabschluss gönnte, ergriff ihn wieder die Sehnsucht. |35| Doch als er zurückkehrte und der Universitätsprofessor ihm nachdrücklich zur Promotion riet, begrub er seinen »unrealistischen« Traum endgültig. Heute, mit gut gehender Praxis, erscheint ihm der Gang der Dinge irgendwie »natürlich« und »vernünftig«. Heimlich bedauert er, das Seemannsleben nie ausprobiert zu haben. Er hat aber auch nicht das Gefühl, dass jemals wirklich eine Entscheidung anstand. Was er nicht sieht: Er hat eine Wahl getroffen. Er hat sich früh entschieden, den Kampf mit den Eltern nicht aufzunehmen. Er hat sich für die Fortsetzung der Familientradition entschieden sowie für Wohlstand, soziales Ansehen und Sicherheit. Gleichzeitig hat er die Möglichkeit eines aufregenden, spannenden, abenteuerlichen Lebens, das mit vielen Unwägbarkeiten einhergeht, abgewählt. Darüber zu urteilen steht niemandem an. Aber weil er die Alternative nicht ernsthaft geprüft hat, erinnert er sich nicht mehr, dass er gewählt hat.
Für viele gehört der Sachzwang einfach nur zu jener Diagonale des Erfolgs, die von links unten nach rechts oben verläuft. Viele haben sich ihren Sicherheitscontainer so luxuriös ausmöbliert, dass es ihnen geradezu absurd erscheint, etwas davon aufs Spiel zu setzen. Die Ketten aus Gold binden ebenso wie die Ketten aus Eisen. Das führt dann zu der bekannten Verfettung der Herzen und der Bankkonten.
Und in der Tat kann der Preis aus der Sicht des Einzelnen außerordentlich hoch sein. Doch darum geht es mir hier gar nicht, denn keineswegs will ich jemandem leichtfertig nahe legen, seinen Wohlstand und die Sicherheit stabiler materieller Verhältnisse zu opfern. Das Problem ist, dass viele nicht bereit sind, für die Auswirkungen ihres Festhaltens Verantwortung zu übernehmen, sie als Resultat ihrer Entscheidung anzuerkennen und die Unbeweglichkeit als Preis zu zahlen.
|36| Je mehr Dinge Sie haben, desto mehr haben die Dinge Sie.
Jeder Komfort muss bezahlt werden. Es heißt ja nicht zufällig »Immobilie« – sie macht immobil. Und so kenne ich zahlreiche Menschen, die bereit sind, in ihrem Arbeitsleben täglich Abwertungen und Respektlosigkeiten hinzunehmen sowie ihre Würde und ihren aufrechten Gang zu opfern, die aber nicht bereit sind, auf ihren Sechszylinder zu verzichten. Dazu entscheiden sie sich täglich. Das ist ihre Wahl.
Wenn Sie also sagen: »Ich kann nicht!«, dann
wollen
Sie nicht. Anderes ist Ihnen wichtiger. Sie wollen den Preis des Wechsels nicht bezahlen. Niemandem steht es an, die Gründe Ihres Bleibens zu bewerten. Aber dann sind Ihnen die Dinge, über die Sie sich beschweren, auch nicht wirklich wichtig. Jedenfalls nicht so wichtig, dass sie Sie zum Handeln veranlassen; nicht so bedeutend, dass Sie die Angst vor dem Risiko überwinden.
Gehen wir ins Extrem und jeder prüfe sich selbst: Wer hindert Sie, den Traumjob als Segellehrer in der Karibik anzunehmen? Wer hindert Sie, die fehlende Ausbildung nachzuholen, die Arbeitsgenehmigungen zu beantragen, die Einreisebestimmungen zu prüfen? Sie selbst ganz allein. Sonst niemand. Sie wollen auf die Annehmlichkeiten Ihres vollklimatisierten Sicherheitscontainers nicht verzichten. Das will ich keineswegs kritisieren. Aber beschuldigen Sie nicht Ihre Familie, die Umstände … All das
können
Sie abwählen, wenn Sie wollen. Wenn Sie es nicht wollen und weiter so leben wie bisher, dann tun Sie es in dem Bewusstsein, diese Umstände gewählt zu haben. Damit entfällt jede Grundlage der Schuldzuweisung. Damit entfällt jede Grundlage des »Ich kann ja nicht, weil
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