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Die Entscheidung liegt bei dir!

Die Entscheidung liegt bei dir!

Titel: Die Entscheidung liegt bei dir! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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|37| Opfer der Umstände?
    Ich erinnere mich noch gut an die Reaktion meines Vaters, als wir über den Gedanken der Wahlfreiheit sprachen. Väterlich milde und seine ganze Lebenserfahrung ausspielend, meinte er: »Das hast du wohl auf der Universität gelernt. Das Leben, das sieht doch ganz anders aus.« Zum Beweis verwies er auf seine Erinnerung an die NS-Zeit: »Man hätte uns doch damals an die Wand gestellt.« Bums! Da war es, das Mega-Argument, von denen ich später in meinem Berufsleben noch so viele ähnliche hören sollte (neuerdings: »Ich kann da als Politiker nichts machen, ich folge nur den Vorschriften aus Brüssel!«). Das Rädchen-Gerede der Manager, die Befehlsnotstands-Entschuldigung der Elterngeneration: Man verliert sich in der Bodenlosigkeit extremer existenzieller Bedrohungen, um das Prinzip der Wahlfreiheit zu widerlegen.
    Es steht Kindern niemals an, die Motive ihrer Eltern zu bewerten. Dazu haben sie kein Recht. Und auch mir steht es nicht zu, die Entscheidung meines Vaters, sich nicht dem Widerstand gegen Hitler angeschlossen zu haben, zu kritisieren. Aber es gab Menschen, die haben sich »an die Wand stellen lassen«. Es war wählbar. Ich sage nicht, dass das eine moralisch hochstehend, das andere feige ist. (In dieser Hinsicht sollten wir Zeitgenossen uns an die eigene Nase fassen.) Ich sage nur: So hoch der Preis auch sein mag, für die Konsequenzen seiner Entscheidung trägt mein Vater die Verantwortung.
    Die Freiheit ist ein wundersames Ding. Die meisten von uns sehnen sich danach, schätzen sie als höchstes Gut. Gleichzeitig aber erschreckt sie viele Menschen zu Tode. Weil aus ihr auch Schuld resultieren kann. Schauen wir uns beispielsweise an, wie in modernen Gesellschaften Verbrechen reflektiert |38| werden. Der Bildungsbürger führt sie auf die Gräuel desolater Familienverhältnisse, auf seelische Defekte und soziale Missstände zurück. Da müsse man ja geradezu »zwangsläufig« kriminell werden! Menschelnd werden die Dinge ins Gegenteil verkehrt: Aus Tätern werden Opfer. Sie sind von vornherein unmündige Personen; ihr Rechtsbruch insofern verstehbar, ein Unfall. Der Unhold gehört dann in die Gesellschaft der Kranken, Armen und Ausgestoßenen, denen fürsorglich und therapeutisch zu begegnen ist. Ähnlich wie Krankheit heute kaum mehr der körperlichen Verfassung und der individuellen Lebensführung zugeschrieben wird, sondern dem Stress, dem Leistungsdruck oder anderen bösen Mächten, so werden Verbrechen entkriminalisiert: »Die Verhältnisse« sind schuld, nicht der Verbrecher.
    Der Zweck dieser Umwidmung ist offensichtlich: Freiheit, Verantwortung und Schuld sollen ausgelöscht werden. Indem man das Böse zur seelischen Entgleisung verniedlicht und den Täter zum gestrauchelten Mitmenschen inmitten widriger Umstände verharmlost, ist letztlich niemand mehr für die Tat dingfest zu machen. Außer natürlich: »die Verhältnisse«. Dabei hält dieser Trick nicht einmal der einfachsten logischen Prüfung stand. Wie viele Menschen weisen ähnlich misslungene Biografien auf, ohne kriminell zu werden? Wie viele Menschen fristen ein trostloses Dasein, ohne andere zu schädigen?
    Für unsere Gesellschaft hat der Verweis auf »die Verhältnisse« katastrophale Folgen: Indem man Täter zu Opfern einer biografischen Fehlentwicklung umtauft, lädt man dazu ein, sich selbst als Opfer zu fühlen. Der Einzelne mag sich fragen: Habe ich nicht auch ein Handicap, weil mein Vater meine Mutter verließ, als ich erst vier Jahre alt war? Bin ich nicht auch benachteiligt, weil ich nicht studiert habe? Darf |39| ich mich nicht jetzt – im Umkehrschluss – schadlos halten am Staat, an den Sozialversicherungen, den anderen?
    Vielleicht können sich noch einige von Ihnen an Plakate aus der Zeit des Kalten Krieges erinnern: »Stell Dir vor, es gibt Krieg und keiner geht hin.« Sie mögen über die freche Wendung geschmunzelt haben – worauf hier so überraschend und provokant hingewiesen wurde, war die Tatsache, dass nicht Generäle, Verteidigungsminister oder der »militärischindustrielle Komplex« den Krieg diktieren. Es ist jeder Einzelne, der sich entscheidet, in den Krieg zu ziehen. Niemals kämpft »eine Nation« oder »ein Volk«. Auch wenn es sich sehr unbequem anhört: Es sind die Einzelnen, die die Wahlentscheidung für oder gegen den Krieg treffen. Damit sage ich nicht, dass ein Krieg geführt oder nicht geführt werden
sollte
. Ich sage, dass Kriege geführt werden, weil

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