Die Entscheidung
erwiderte Johanna. „Gemein ist, dass ihr diesen Menschen quält. Es kann noch Tage dauern, bevor wir sein Blut brauchen. Wenn er bis dahin vor Angst gestorben ist, hat niemand etwas davon. Ihr seid nicht besser als ein paar Bauernjungen, die mit dem Stock ein Schwein piksen, bevor es zum Schlachter kommt.“
Beleidigt sahen Janish und Krystian zu Boden. Sie wussten, was auf sie zukam, und machten sich innerlich darauf gefasst. Aber Johanna war müde und hatte kein Interesse, die Strafe selbst auszuführen. Sollte Viktoria ihre Brut doch selbst in den Griff bekommen. Alt genug war sie dafür allemal.
„Bring die Jungen zu deiner Mutter“, bat Johanna und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Zehn Schläge auf die Finger für jeden von ihnen.“
„Zehn?“, fragte Janish aufgebracht. „Aber …“
„Noch ein Wort und du bekommst fünfzehn.“
Der Junge verstummte. Früher hätte Johanna ihn selbst gezüchtigt, wie sie es bei ihren Enkeln getan hatte. Aber sie fühlte sich inzwischen einfach zu alt dafür. Die Kinder sollten die Schläge schließlich auch richtig spüren können. Sonst würden sie sich viel zu schnell wieder an dem Gefangenen vergreifen. Einar stieß sich vom Türrahmen ab und griff seinen Bruder und dessen Freund an der Schulter.
„Na kommt“, sagte er. „Ihr habt es doch nicht anders verdient. Und glaubt mir: Mutter schlägt bei weitem nicht so doll zu, wie Großmutter Anna es damals getan hat. Es dachten zwar immer alle, dass sie so ein weiches Herz hätte, aber wenn es darum ging, mich zu bestrafen, war sie unerbittlich.“
Johanna sah den drei Jungen hinterher und schüttelte dann den Kopf. In ihrer Jugend wäre sie nie auf die Idee gekommen, einen Menschen in ein Erdloch zu stecken. Aber was sollte sie sonst mit dem jungen Iren machen? Er war eine ständige Versuchung für die Kinder. Und Johanna konnte unmöglich zulassen, dass die Mahlzeit verschwendet wurde.
Das Erdloch stammte noch aus der Zeit vor dreihundert Jahren, als häufiger mal Gefangene im Dorf gehalten wurden. Ursprünglich war es natürlich sehr viel größer gewesen. Aber für eine Person würde es wohl genügen.
Im Moment hatte sie ohnehin ganz andere Probleme. Am nächsten Abend war Vollmond und es wurde höchste Zeit, dass sie Gandolf befragten, wonach der Dämon verlangte. Ein Jammer, dass der Dämon keine Menschen als Opfer akzeptierte, ansonsten wäre die Entscheidung leicht gewesen. Sie hatten es mehrfach versucht. Doch der Dämon hatte sie nicht angerührt, sondern stattdessen willkürlich im Dorf gemordet. Nur Vampirblut konnte ihn besänftigen. Und die liebsten Opfer waren ihm Frauen oder Mädchen. Je jünger, desto besser.
Für gewöhnlich genügte es ihm, wenn junges Blut in eine Opferschale gefüllt wurde. Monat für Monat, Jahr für Jahr gab es daher allgemeine Tage der Blutspende, an denen jedem Kind unter achtzehn Jahren Blut abgenommen wurde. Dieses Blut wurde dann an Vollmond für den Dämon bereitgestellt und alle beteten dafür, dass es ihm genügen würde. Denn mindestens zweimal im Jahr verlangte er nach mehr.
„Na? Was hat mein kleiner Bruder diesmal wieder angestellt?“
Johanna drehte sich zu der Stimme um und lächelte, als sie ihre Urenkelin Swana im Türrahmen stehen sah. Sie war eine junge Frau von durchschnittlichem Aussehen. Im Gegensatz zu ihrem Bruder war sie keine besondere Schönheit, brauchte ihr Gesicht aber auch nicht verstecken. Sie hatte viel von ihrer Mutter Viktoria. Das wunderschöne rotbraune Haar, das runde Gesicht und die breiten Hüften. Aber Swana strahlte im Gegensatz zu ihrer Mutter eine innere Energie aus, die sie für jedermann liebenswert machte.
Einar und Swana lebten schon seit Ewigkeiten bei Johanna. Als sie Kinder waren, hatte Anna sich hauptsächlich um die beiden gekümmert, weil Viktoria in die weite Welt hinaus gezogen war. Doch als Viktoria vor etwa sieben Jahren wieder aufgetaucht war, hatten die Geschwister beschlossen, nicht zu ihrer Mutter zurückzukehren. Sie kannten Viktoria kaum und waren daher bei Anna und Johanna geblieben. Johanna hatte das nie gestört. Die jungen Leute waren inzwischen alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Es gab nur eine Sache, die Johanna Kopfschmerzen bereitete.
„Wo ist Mady?“, fragte sie und Swanas Augen begannen zu leuchten vor Zuneigung, wie nur eine Mutter sie für ihr Kind empfinden konnte.
„Sie schläft“, sagte Swana lächelnd. „Sie schläft immer ohne Probleme. Nicht wie Janish damals.
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