Die Entscheidung
aufmunternd zu. Auf seinem Gesicht lag ein dümmliches Lächeln. Er hatte seinen Namen erhalten, lange bevor das Buch „Der Herr der Ringe“ in der Bevölkerung bekannt geworden war. Außerdem fehlte es Gandolf leider an jeglicher Art von Weisheit und Zauberkraft, die Gandalf den Grauen ausmachten. Dafür hatte er aber die Gabe, den Willen des Dämons vorherzusagen.
„Liebe Gemeinde“, begann Johanna schließlich. „Wie jeden sechsten Vollmond fällt dem Medium die traurige Pflicht zu, das Los zu ziehen, um zu erfahren, wer dieses Mal von dem Dämon auserwählt wurde. Ich habe selbst dafür gesorgt, dass jedes Dorfmitglied zur Wahl steht.“
Mit ausdrucksloser Miene entzündete Johanna einige Kerzen in der Kapelle, die um einen großen Kessel herum standen, der von Haldor, dem Schmied des Dorfes hergestellt worden war. Darin befanden sich Zettel mit den Namen aller Jungvampire des Dorfes. Johanna verabscheute es, dem Dämon auch noch die Genugtuung zu geben, ihm zu Ehren Rituale durchzuführen. Aber diese Dinge schienen für die Dorfbewohner fast genauso wichtig zu sein wie für das Monster. Es machte die Prozedur weniger willkürlich und gab dem Ganzen einen schicksalhaften Charakter. Als Johanna fertig war, drehte sie sich wieder herum.
Die Anspannung in der Gruppe war klar spürbar. Angst lag in der Luft. Angst und Verzweiflung. Einige der jüngeren Kinder weinten leise, manche hatten sich sogar in die Hose gemacht.
Eine Mutter schluchzte auf und Johanna erkannte sofort, dass es Maelle war. Es sah ihr gar nicht ähnlich, an Vollmond die Fassung zu verlieren. Für gewöhnlich nahm sie das Urteil ihres Vaters stumm hin, weil sie sich ohnehin nicht dagegen wehren konnte. Aber an diesem Abend war sie völlig aufgelöst.
„Ihr … ihr braucht den Namen gar nicht erst zu ziehen“, sagte Maelle. „Ich weiß ohnehin, wer es werden wird.“
Tränen rannen ihr über die Wangen, während sie ihr Baby so eng wie möglich an sich drückte. Ihre anderen Kinder drängten sich ebenfalls näher an sie und einige begannen lauter zu weinen. Ihr ältester Sohn strich ihr beruhigend über den Rücken, wirkte aber ebenfalls besorgt.
„Ich habe davon geträumt“, erklärte Maelle aufgelöst. „Er will mein Baby haben. Das weiß ich bestimmt.“
Johanna riss erstaunt die Augen auf. Maelle gehörte normalerweise nicht zu den Vampiren mit Visionen. Ihre Gabe bestand darin, den entlaufenen Jungvampiren Träume zu senden. Diese Träume waren häufig der Hauptgrund für die Vampire, zum Dorf zurückzukehren. Maelle hatte noch nie Visionen gehabt.
Und dennoch … wie sie hier vor ihr stand, konnte Johanna nicht anders, als ihr zu glauben. Am liebsten wäre sie zu der unglückseligen Frau gegangen und hätte sie in den Arm genommen. Aber vielleicht täuschte Maelle sich auch. Der Traum musste sich nicht unbedingt bewahrheiten. Aber eigentlich war es egal, welcher Name von Gandolf gezogen wurde. Jeder Verlust war eine Tragödie. Und einmal mehr wünschte Johanna sich, dass Darrek sich beeilen würde.
„Wir müssen den Willen des Dämons trotzdem erfragen“, verkündete Johanna. „Vielleicht war es ja einfach nur ein böser Albtraum.“
Maelle schüttelte weinend den Kopf und Johanna nickte Gandolf zu. Dieser taumelte in die Kapelle, als hätte er zu viel getrunken, und begann sich dann solange im Kreis zu drehen, bis ihm ganz schwindelig wurde. Dies war seine Art, sich in Trance zu versetzen.
Als er stehen blieb, schwankte er vor und zurück, während er sich voll und ganz auf die Statue des Dämons konzentrierte.
„Führe meine Hand“, forderte Gandolf. „Führe meine Hand und teile mir deinen Willen mit.“
Dann griff er nach vorne in den Kessel, der mitten in der Kapelle stand, und fischte einen Zettel heraus. Die Kerzen um ihn herum flackerten auf und Gandolf betrachtete das Papierchen so liebevoll, als wäre es eine Liebesbotschaft. Er küsste es und drückte es so lange an sich, bis Johanna ihm gegenübertrat.
„Gib es mir“, forderte sie und Gandolf gehorchte widerwillig.
So war es jedes Mal. Für Gandolf schien die ganze Sache nur ein großes Spiel zu sein und Johanna war die Spielverderberin, die ihn zur Vernunft bringen musste.
Ihre Hände zitterten, als sie vor die Dorfgemeinschaft trat und das Papier auseinander faltete. Maelle hatte in ihrem Leben schon so viel für die Gemeinschaft geopfert. Mit einem verrückten Vater und vier verstorbenen Kindern war sie eigentlich schon genug gestraft. Sollte
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