Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Siebern
Vom Netzwerk:
Schlafplatz suchen und erst morgen auf Wanderschaft gehen.“
    Darrek nickte langsam. Er wusste, dass das die einfachste Lösung wäre. Doch sein merkwürdiger Traum trieb ihn an. Einige der Gaben aus dem Dorf der Outlaws waren so stark, dass er sie bis hierhin spüren konnte. Jemand wollte, dass er noch vor Vollmond sein Ziel erreichte. Das war eigenartig. Darrek hatte erwartet, dass überhaupt niemand mehr lebte, den er von früher kannte. Immerhin war es schon siebzig Jahre her, seitdem er das letzte Mal im Dorf gewesen war.
    Dennoch spürte Darrek es ganz deutlich. Man brauchte seine Hilfe. Aber wozu? Und wie um Himmels willen sollte er das anstellen? Sie hatten noch eine mehrstündige Autofahrt vor sich. Und selbst wenn sie sich beeilten, würden sie es unmöglich vor Einbruch der Dunkelheit bis zum Dorf schaffen.
    Sorgenfalten zeichneten sich auf Darreks Gesicht ab und er beschloss, die Entscheidung auf später zu verschieben. Erst einmal musste er den Parkplatz mit den Wanderwegen erreichen. Alles andere würden sie später noch sehen.
    Wie gewohnt hatte sich das gesamte Dorf vor der Kapelle in der Mitte des Dorfes versammelt. Das Gebäude war klein und man hatte es vor zwanzig Jahren allein zu dem Zweck erbaut, den Dämon zu besänftigen. Innen stand eine lebensgroße Statue des Dämons, die sie alle immer wieder an die ersten Monate erinnerte, in denen der Dämon sie heimgesucht hatte. Es hatte damals mehr Tote gegeben als jemals zuvor in der Geschichte des Dorfes.
    Doch seit sie herausgefunden hatten, was der Dämon wollte, war es ihnen möglich, wieder einigermaßen ungestört zu leben. Das Medium, durch das der Dämon seinen Willen zu verkünden pflegte, war ein achtzigjähriger Mann namens Gandolf. Er galt dank seiner grauen Haare und seinen Gedächtnisaussetzern im Dorf offiziell als alt. Da Johanna aber längst erwachsen gewesen war, als Gandolf noch in den Windeln gelegen hatte, kam er ihr noch ziemlich jung vor. Die erste Begegnung mit dem Dämon war für Gandolf besonders traumatisch gewesen. Er war von dem Monstrum gebissen worden und hatte viel Blut verloren. Fortan war sein Geist verwirrt gewesen. Er hatte das Massaker überstanden, aber der Dämon hatte ihn auf eine Weise geprägt, die sich Johannas Vorstellungskraft entzog. Seit zwanzig Jahren redete er wirres Zeug, lief ziellos durch das Dorf und vergaß ständig, Blut zu sich zu nehmen. Doch einmal im Monat hatte er seinen großen Auftritt. Und den schien er jedes Mal wieder zu genießen.
    Johannas Blick wanderte durch die Menge. Alle waren sie gekommen. Das Dorf hatte noch circa dreihundert Einwohner und jeder Einzelne von ihnen stand nun auf dem Dorfplatz und wartete gespannt darauf, dass Gandolf verkünden würde, wen der Dämon als Blutopfer auserkoren hatte.
    Johanna schluckte, als sie Maelle in der ersten Reihe stehen sah. Sie war Gandolfs Tochter und die Leidtragende des Dorfes. Sie hielt ihr jüngstes Baby auf dem Arm und ein Kleinkind an der Hand. Hinter ihr standen ihre anderen verbliebenen Kinder. Im Laufe ihres Lebens war Maelle zwölf Mal schwanger gewesen, aber zwei ihrer Kinder waren bei Unfällen gestorben und zwei hatte der Dämon eingefordert. Ihr Gesicht war verhärmt und strahlte dieselbe Resignation aus wie bei jeder Versammlung. Sie fürchtete um ihre Kinder, wusste aber gleichzeitig, dass es nichts gab, was sie zu ihrem Schutz unternehmen konnte.
    Ein paar Schritte weiter stand Swana mit Mady auf dem Arm. Sie war das komplette Gegenteil von Maelle. Ihr Blick drückte Zuversicht aus und es gelang ihr, die Sorge so weit wie möglich zu verdrängen. Nicht weit von den beiden entdeckte Johanna auch Viktoria und Janish. Einar hielt sich abseits, als würde ihn überhaupt nicht interessieren, wer dieses Mal sterben musste, solange er selber es nicht war. Ein Abwehrmechanismus, den viele Männer anwandten, um emotional weniger betroffen zu sein.
    Um das Opfer und seine Familie nicht schon lange vor dem betreffenden Vollmond zu beunruhigen, war es Tradition, Gandolf erst einige Stunden vor Sonnenuntergang zu befragen. Diese Vorgehensweise wurde von allen unterstützt. Johanna sah die ängstlichen Gesichter von Frauen, die ihre Kinder oder Enkel an die Brust drückten, und hasste die Pein, die ihnen allen bevorstand. Aber wenn sie sich nicht für eine Person entschieden, würde der Opferstein leer bleiben. Und was dann geschah, war schlimmer als der Verlust eines einzelnen Kindes.
    Johanna räusperte sich und Gandolf nickte ihr

Weitere Kostenlose Bücher