Die Entstehung der Arten Illustriert - Ueber die Entstehung der Arten durch natuerliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der beguenstigten Rassen im Kampfe ums Dasein
Richtung hervortretenden individuellen Verschiedenheiten bei seinen Kulturformen häuft; und Jedermann gibt zu, dass wenigstens individuelle Verschiedenheiten bei den Arten im Naturzustande vorkommen. Aber von diesen abgesehen, haben alle Naturforscher das Dasein von Varietäten eingestanden, welche verschieden genug sind, um in den systematischen Werken als solche mit aufgeführt zu werden. Doch kann Niemand einen bestimmten Unterschied zwischen individuellen Abänderungen und leichten Varietäten oder zwischen deutlicher markierten Abarten, Unterarten und Arten angeben. Auf verschiedenen Kontinenten und in verschiedenen Teilen desselben Kontinents, wenn sie durch Schranken irgend welcher Art von einander getrennt sind, und auf den in der Nähe der Kontinente liegenden Inseln, was für eine Masse von Formen existieren da, welche die einen erfahrenen Naturforscher als blosse Varietäten, die anderen als geographische Rassen oder Unterarten, noch andere als distincte, wenn auch nahe verwandte Arten betrachten!
Wenn daher Pflanzen und Tiere faktisch, sei es auch noch so langsam oder gering, variieren, warum sollten nicht Abänderungen oder individuelle Verschiedenheiten, welche in irgend einer Weise nützlich sind, durch natürliche Zuchtwahl oder das Überleben des Passendsten bewahrt und gehäuft werden? Wenn der Mensch die ihm selbst nützlichen Abänderungen durch Geduld züchten kann: warum sollten nicht unter den abändernden und komplizierten Lebensbedingungen Abänderungen, welche für die lebendigen Naturerzeugnisse nützlich sind, häufig auftreten, und bewahrt oder gezüchtet werden? Welche Schranken kann man dieser Kraft setzen, welche durch lange Zeiten hindurch tätig ist und die ganze Constitution, Struktur und Lebensweise eines jeden Geschöpfes rigoros prüft, das Gute begünstigt und das Schlechte verwirft? Ich vermag keine Grenze zu sehen für diese Kraft, welche jede Form den verwickeltsten Lebensverhältnisen langsam und wunderschön anpasst. Die Theorie der natürlichen Zuchtwahl scheint mir, auch wenn wir uns nur hierauf allein beschränken, im höchsten Grade wahrscheinlich zu sein. Ich habe bereits, so ehrlich als möglich, die dagegen erhobenen Schwierigkeiten und Einwände recapitulirt; jetzt wollen wir uns zu den speziellen Tatsachen und Folgerungen zu Gunsten unserer Theorie wenden.
Nach der Ansicht, dass Arten nur stark ausgebildete und bleibende Varietäten sind und jede Art zuerst als eine Varietät existiert hat, können wir sehen, woher es kommt, dass keine Grenzlinie gezogen werden kann zwischen Arten, welche man gewöhnlich als Produkte eben so vieler besonderer Schöpfungsakte betrachtet, und zwischen Varietäten, die man als Bildungen sekundärer Gesetze gelten lässt. Nach dieser nämlichen Ansicht ist es ferner zu begreifen, warum in einer Gegend, wo viele Arten einer Gattung entstanden sind und nun gedeihen, diese Arten noch viele Varietäten darbieten; denn, wo die Artenfabrication tätig betrieben worden ist, da möchten wir als allgemeine Regel erwarten, sie noch in Tätigkeit zu finden; und dies ist der Fall, wofern Varietäten beginnende Arten sind. Überdies behalten auch die Arten großer Gattungen, welche die Mehrzahl der Varietäten oder beginnenden Arten liefern, in gewissem Grade den Charakter von Varietäten bei; denn sie unterscheiden sich in geringerem Maße, als die Arten kleinerer Gattungen von einander. Auch haben die naheverwandten Arten großer Gattungen, wie es scheint, eine beschränktere Verbreitung und bilden vermöge ihrer Verwandtschaft zu einander kleine um andere Arten geschaarte Gruppen, in welchen beiden Hinsichten sie ebenfalls Varietäten gleichen. Dies sind, von dem Gesichtspunkte aus beurteilt, dass jede Art unabhängig erschaffen worden sei, befremdende Erscheinungen, welche dagegen der Annahme ganz wohl entsprechen, dass alle Arten sich aus Varietäten entwickelt haben.
Da jede Art bestrebt ist sich durch das geometrische Verhältnis ihrer Fortpflanzung in ihrer Zahl unendlich zu vermehren, und da die modifizierten Nachkommen einer jeden Spezies sich um so rascher zu vervielfältigen vermögen, je mehr dieselben in Lebensweise und Organisation auseinander laufen, je mehr und je verschiedenartigere Stellen sie demnach im Haushalte der Natur einzunehmen im Stande sind, so wird in der natürlichen Zuchtwahl ein beständiges Streben vorhanden sein, die am weitesten verschiedenen Nachkommen einer jeden Art zu erhalten. Daher werden im langen
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