Die Entstehung des Doktor Faustus
Verhältnis so {412} gesehen und bei meinem bedenklichen Anblick nicht mit der Erklärung gezögert: »Es ist das Buch.« Und gab ich ihnen nicht recht? Es ist ein großes Wort, daß, wer sein Leben hingibt, es gewinnen wird, – ein Wort, das in der Sphäre der Kunst und Dichtung nicht weniger Heimatrecht besitzt als in der religiösen. Nie ist das Opfer des Lebens aus mangelnder Lebenskraft gebracht worden, und nicht eben auf solchen Mangel deutet es, wenn einer – seltsamer Fall! – mit siebzig Jahren sein »wildestes« Buch schreibt. Es deutete darauf auch nicht die Behendigkeit, mit der ich, gezeichnet mit einer Narbe von der Brust bis zum Rücken, zur Erheiterung der Ärzte von der Operation erstand, um dies fertig zu machen …
Aber ich will die Geschichte des
Faustus,
eingebettet wie sie ist in den Drang und Tumult der äußeren Ereignisse, an Hand meiner knappen täglichen Aufzeichnungen von damals für mich und die Freunde zu rekonstruieren suchen.
II
November 1942 verzögerte eine Reise nach dem Osten des Kontinents die Beendigung von
Joseph, der Ernährer
, der ich während der vorangehenden Wochen, unter den Donnern der Kämpfe um das glühende und qualmende Stalingrad zugestrebt hatte. Der Ausflug, auf dem ein Vortragsmanuskript über das fast zum Abschluß gebrachte vierfache Romanwerk mich begleitete, führte über Chicago nach Washington und New York, war reich an Begegnungen, Veranstaltungen und Leistungen und brachte unter anderem ein Wiedersehen mit Princeton und den vertrauten Gestalten jener Lebensperiode: mit Frank Aydelott, Einstein, Christian Gauß, Helen Lowe-Porter, Hans Rastede von Lawrenceville School nebst seinem Kreise, Erich von Kahler, Hermann Broch und anderen. Die Tage von Chicago hatten im Zeichen des afrikanischen Krieges {413} gestanden, erregender Nachrichten über den Durchmarsch deutscher Truppen durch den unbesetzten Teil Frankreichs, den Protest Pétains, die Verschiffung der Hitler-Corps nach Tunis, die italienische Besetzung von Corsica, die Wiedereinnahme von Tobruk. Man las von fieberhaften Schutzmaßnahmen der Deutschen überall, wo eine Invasion denkbar war, von Anzeichen für den Übergang der französischen Flotte auf die Seite der Alliierten. Washington in Kriegszustand zu sehen war mir neu und merkwürdig. Zu Gaste, wieder einmal, bei Eugene Meyer und seiner schönen Frau in ihrem Palais am Crescent Place, betrachtete ich verwundert die schwer militarisierte Gegend um das Lincoln-Memorial mit ihren Baracken, Bureauhäusern und Brücken, den unaufhörlich einrollenden, mit Kriegsmaterial beladenen Zügen. Es herrschte drückende Wärme, ein verspäteter »indian summer«. Bei einem Dinner im Haus meiner Gastfreunde, an dem der brasilianische und der tschechische Gesandte mit ihren Damen teilnahmen, drehte die Diskussion sich um die amerikanische Zusammenarbeit mit Darlan, das Problem der »expediency«. Die Meinungen waren geteilt. Ich verhehlte nicht meine Abneigung. Man hörte nach Tische die Radio-Rede Willkies, der eben von seiner One-World-Tour zurück war. Meldungen über den bedeutenden Seesieg bei den Solomons hoben die Stimmung.
Die Vortragsveranstaltung in der Library of Congress führte mich zu meiner Freude wieder mit Archibald MacLeish, damals noch Staatsbibliothekar, und seiner Frau zusammen, und als besondere Ehre empfand ich es, daß Vice-President Wallace, von MacLeish eingeführt, meiner Rede den Vorspruch gab. Die Lesung selbst, von den Zeitereignissen nicht ungefärbt, durch den Lautsprecher hörbar noch in einem zweiten dicht gefüllten Saal, fand nach so gewinnender Vorbereitung des Publikums mehr als freundliche Aufnahme. Den Abend beschloß {414} ein figurenreicher Empfang im Meyer’schen Hause, bei dem ich mich vornehmlich zu den Männern meines Vertrauens, den Offiziosen des Roosevelt-Régimes, Wallace und Francis Biddle, dem Attorney General, hielt, dessen liebenswürdige Frau mir viel Zartes über meinen Vortrag sagte. Biddle, mit dem ich über die den »enemy aliens«, besonders den deutschen Emigranten, auferlegten Einschränkungen korrespondiert hatte, gab mir seine Absicht kund, diese Beengungen baldigst aufzuheben. Von ihm erfuhr ich auch, daß Roosevelt, dessen Verhältnis zum Vichy-Régime nicht mir allein Zweifel und Unbehagen bereitete, immerhin die Freilassung der in Nordafrika gefangengehaltenen Anti-Fascisten und Juden verlange.
Dankbar war ich unserer Hausfrau, meiner langjährigen Gönnerin, der literarisch,
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