Die Entstehung des Doktor Faustus
München mit leichtem Gepäck verließen, ohne zu ahnen, daß wir nicht wiederkehren würden. In nicht ganz zwei Monaten, einer für meine Arbeitsart kurzen Frist, schrieb ich fast ohne Verbesserungen, die Geschichte nieder, der, zum Unterschied von der quasi-szientifischen Umständlichkeit des
Joseph,
ein Frisch-darauf-los-Tempo angeboren war. Während der Arbeit, oder vorher schon, hatte ich ihr den Titel
Das Gesetz
gegeben, womit nicht sowohl der Dekalog, als das Sittengesetz überhaupt, die menschliche Zivilisation selbst bezeichnet sein sollte. Es war mir ernst mit dem Gegenstande, so scherzhaft das Legendäre behandelt und soviel voltairisierender Spott, wiederum im Gegensatz zu den
Joseph
-Erzählungen, die Darstellung färbt. Wahrscheinlich unter dem unbewußten Einfluß von Heines Moses-Bild gab ich meinem Helden die Züge – nicht etwa von Michelangelos Moses, sondern von Michelangelo selbst, um ihn als mühevollen, im widerspenstigen menschlichen Rohstoff schwer und unter entmutigenden Niederlagen arbeitenden Künstler zu kennzeichnen. Der Fluch am Ende gegen die Elenden, denen in unseren Tagen Macht gegeben war, sein Werk, die Tafeln der Gesittung, zu schänden, kam mir von Herzen und läßt wenigstens zum Schluß keinen Zweifel an dem kämpferischen Sinn der übrigens leicht wiegenden Improvisation.
Am Morgen nach diesem Abschluß erst räumte ich das gesamte mythologisch-orientalistische Material zum
Joseph
, Bil {420} der, Exzerpte, Entwürfe, verpackt beiseite. Die Bücher, die ich zum Zwecke gelesen, blieben, eine kleine Bibliothek für sich, auf ihren Fächern. Tisch und Schubfächer waren leer. Und nur einen Tag später, dem 15. März, um genau zu sein, taucht in meinen abendlichen Tagesrapporten das Sigel »Dr. Faust«, fast ohne Zusammenhang, zum erstenmal auf. »Durchsicht alter Papiere nach Material für ›Dr. Faust‹.« Welcher Papiere? Ich wüßte es kaum zu sagen. Aber der Vermerk, der sich am nächsten Tag wiederholt, ist verbunden mit der Erwähnung von Briefen an Professor Arlt von der University of California in Los Angeles und an MacLeish in Washington wegen leihweiser Überlassung des Volksbuches von Faust und – der Briefe Hugo Wolfs. Die Kombination weist auf eine gewisse, seit langem bestehende Umrissenheit der auch wieder sehr nebelhaften Idee, die ich verfolgte: Augenscheinlich handelte es sich um die diabolische und verderbliche
Enthemmung
eines – noch jeder Bestimmung entbehrenden, aber offenbar schwierigen – Künstlertums durch Intoxikation. »Vormittags in alten Notizbüchern«, heißt es unterm 17ten. »Machte den Drei-Zeilen-Plan des Dr. Faust vom Jahre 1901 ausfindig. Berührung mit der Tonio Kröger-Zeit, den Münchener Tagen, den nie verwirklichten Romanplänen ›Die Geliebten‹ und ›Maja‹. ›Kommt alte Lieb’ und Freundschaft mit herauf‹. Scham und Rührung beim Wiedersehen mit diesen Jugendschmerzen …«
Zweiundvierzig Jahre waren vergangen, seit ich mir etwas vom Teufelspakt eines Künstlers als mögliches Arbeitsvorhaben notiert, und mit dem Wiederaufsuchen, Wiederauffinden geht eine Gemütsbewegung, um nicht zu sagen: Aufgewühltheit einher, die mir sehr deutlich macht, wie um den dürftigen und vagen thematischen Kern von Anfang an eine Aura von Lebensgefühl, eine Lufthülle biographischer Stimmung lag, die die »Novelle«, meiner Einsicht recht weit voran, zum Ro {421} man vorherbestimmte. Es war diese innere Bewegung, die damals den Lakonismus meiner Tagebuchnotizen zu Selbstgesprächen erweitert. »Erst jetzt realisiere ich, was es heißt, ohne das
Joseph
-Werk zu sein, die Aufgabe, die in dem ganzen Jahrzehnt immer neben mir, vor mir stand. Erst da auch das
Gesetz
-Nachspiel abgetan, wird mir die Neuheit und Fragwürdigkeit der Lage bewußt. Es war bequem, an dem Herangebrachten weiterzuwirken. Wird noch die Kraft zu neuen Konzeptionen da sein? Ist nicht die Thematik aufgebraucht? Und sofern sie es nicht ist – wird noch die Lust dazu aufgebracht werden? – Dunkles Wetter, regnerisch, kalt. Unter Kopfschmerzen skizziert und notiert für die Novelle. Nach Los Angeles zum Konzert, in Steinbergs Loge mit seinen Damen. Horowitz spielte das B-dur Klavierkonzert von Brahms, das Orchester die
Don Juan
-Ouvertüre und die Pathétique von Tschaikowsky. ›Auf vielfaches Verlangen‹, hätte man früher gesagt. Es ist aber sein Schwermutsvoll-Bestes, das Höchste ihm Erreichbare, und immer hat es sein Schönes und Ergreifendes, ein
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