Die Entstehung des Doktor Faustus
bestimmtes Talent, wer weiß durch welche Fügung der Umstände, auf den Gipfel seiner Möglichkeiten kommen zu sehen. Auch erinnerte ich mich, wie Stravinsky mir vor Jahren in Zürich seine Bewunderung für Tschaikowsky einbekannte. (Ich hatte danach gefragt.) – Beim Dirigenten im Künstlerzimmer … Las mit Erheiterung Geschichten in
Gesta Romanorum,
ferner in
Nietzsche und die Frauen
von Brann und Stevensons Meisterstück
Dr. Jekyll and Mr. Hyde
, die Gedanken auf den Fauststoff gerichtet, der jedoch fern davon ist, Gestalt anzunehmen. Obgleich das Pathologische ins Märchenhafte zu rücken, ans Sagenmäßige anzuschließen wäre, geht eine Art von Bangigkeit davon aus, die Schwierigkeiten scheinen unüberwindlich, und die Vermutung mischt sich ein, daß ich deshalb vor dem Unternehmen zurückschrecke, weil ich es immer
als mein letztes
betrachtet habe.«
{422} Ich lese das nach und weiß, daß es richtig war. Richtig, was das Alter der kaum definierbaren Idee, die langen Wurzeln betrifft, die davon in mein Leben hinabreichen, und richtig insofern ich sie beim Ausblick auf einen Lebensplan, der immer ein Arbeitsplan gewesen war, von jeher an das Ende gestellt hatte. Was da, vielleicht, eines späten Tages, zu machen sein würde, nannte ich im stillen meinen »Parsifal«. So sonderbar es scheinen mag, daß einer ein Alterswerk in jungen Jahren sich programmmäßig vorsetzt, – es war der Sachverhalt; und eine spezifische, in manchen kritischen Versuchen sich äußernde Vorliebe für die Betrachtung von Alterswerken, des
Parsifal
selbst, des zweiten
Faust,
des letzten Ibsen, der Stifter’schen, Fontane’schen Spätprosa, mag wohl damit zusammenhängen.
Die Frage war, ob nun die Stunde für diese von langer Hand, wenn auch noch so unscharf visierte Aufgabe gekommen war. Ein Gegeninstinkt, verstärkt durch die Ahnung, daß es mit dem »Stoff« nicht geheuer war und daß es Herzblut, viel davon, kosten werde, ihn in Gestalt zu bringen, durch die unbestimmte Vorstellung einer gewissen aufs Ganze gehenden Radikalität seiner Anforderungen, – ist unverkennbar. Dieser Instinkt wäre auf die Formel zu bringen gewesen: »Erst lieber noch etwas anderes!« Das mögliche, beträchtlichen Aufschub bietende Andere war die Aufarbeitung und Durchführung des vor dem ersten Weltkriege liegengebliebenen Roman-Fragments
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull
.
»K.« (das ist meine Frau) »erwähnt die Fortführung des
Krull,
nach der Freunde öfters verlangt haben. Ganz fremd ist der Gedanke mir nicht, aber ich erachtete den Plan, der aus Zeiten stammt, wo das Künstler-Bürger-Problem dominierte, für verjährt und überholt durch den
Joseph.
Dennoch gestern abend beim Lesen und Musikhören merkwürdig bewegte Annähe {423} rung an den Gedanken der Wiederaufnahme, hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der Lebenseinheit. Es hätte seinen Reiz, nach zweiunddreißig Jahren dort wieder anzuknüpfen, wo ich vor dem
Tod in Venedig
aufgehört, zu dessen Gunsten ich den
Krull
unterbrach. Alles Werk und Beiwerk seit damals erwiese sich als Einschaltung, ein Menschenalter beanspruchend, in das Unternehmen des Sechsunddreißigjährigen. – Vorteil, auf einer alten Grundlage weiterzubauen.«
Das alles heißt nur: »Lieber erst noch etwas anderes!« Und doch saß mir ein Stachel im Fleisch, der Stachel der Neugier nach dem Neuen, Gefährlichen. Es gab Ablenkungen in den nächsten Tagen. Gelegenheitsarbeiten waren abzutun, eine Sendung nach Deutschland, ein Offener Brief an Alexej Tolstoi als Beitrag zu einem russisch-amerikanischen Austausch zu schreiben. Erschütterung brachte der plötzliche Tod Heinrich Zimmers, des geistvollen Indologen und Gatten der Christiane Hofmannsthal, aus dessen großem Buch über den indischen Mythos ich den Stoff zu den
Vertauschten Köpfen
geschöpft. Nachrichten aus New York über die von Sforza, Maritain und anderen geführte Gegenbewegung gegen den Kapitalisten-Club Coudenhoves, sein reaktionäres Pan-Europa, beschäftigten mich und forderten Stellungnahme. Der Krieg in Nordafrika, wo Rommel von Montgomery zum Stehen gebracht worden, spannte die Aufmerksamkeit. Aber die erbetenen Bücher, der Volks-Faust und eine ganze Kollektion von Brief-Bänden Hugo Wolfs, von der Library of Congress zur Verfügung gestellt, trafen ein, und ungeachtet aller Expektorationen über die »Vorteile« der Wiederaufnahme des
Krull
laufen alle Tagesvermerke von Ende März und Anfang April auf Studien zum
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