Die Entstehung des Doktor Faustus
Beginn, das Kapitel abschließen, – eine erfrischende Episode jedenfalls in all der Düsternis, und sehr dankbar vorzulesen, da sie etwas von der munteren Zweideutigkeit und Theaterwirksamkeit einer Riccaut de la Marlinière-Szene hat. Lessing ist dieser Charge wegen dem Vorwurf nationalistischer Verunglimpfung der französischen Nation nicht entgangen, und da ich immer fand, daß er sich damit eines gewissen moralischen Leichtsinns um des Effektes willen wirklich schuldig gemacht hat, muß ich auch einräumen, daß die Gefahr einer antisemitischen Mißdeutung meiner jüdischen Riccaut-Figur, bei aller sympathischen Drolerie, die ich ihr mitzugeben suchte, nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Mit einer gewissen Besorgnis darauf aufmerksam gemacht, wurde gleich bei der ersten Vorlesung des Abschnitts {559} im Familien- und Freundeskreis, und so überraschend der Gedanke mir war, – ich mußte ihm um so mehr sein Recht zugestehen, als da ja auch noch der arge Breisacher ist, ein intellektueller Quertreiber und Wegbereiter des Unheils, dessen Charakterisierung demselben Verdacht Vorschub leistet. Von diesem heißt es übrigens: »Kann man es dem jüdischen Geist verargen, wenn seine hellhörige Empfänglichkeit für das Kommende, Neue sich auch in vertrackten Situationen bewährt, wo das Avantgardistische mit dem Reaktionären zusammenfällt?« Und von Fitelberg: »Ich habe das Alte Testament im Leibe, und das ist eine nicht weniger ernste Sache als das Deutschtum …« Die erste Äußerung besagt, daß meine Juden einfach Kinder ihrer Epoche sind, so gut wie die anderen, ja, kraft ihrer Gescheitheit oft ihre getreueren Kinder. Und die zweite deutet auf die sonderliche geistige Würde des Judentums, deren Anerkennung das Buch vermissen zu lassen scheint, und von der ich doch selbst meinem Allerwelts- und Manager-Juden noch etwas mitgegeben habe. Sind denn auch, wenn ich etwa den Erzähler selbst, Serenus Zeitblom, und Mutter Schweigestill ausnehme, die deutschen Bewohner dieses Romans sympathischer als seine jüdischen? Es ist ja im ganzen ein wunderliches Aquarium von Geschöpfen der Endzeit! Lieber, als die deutschblütigen Larven, die bei Kridwiß die Zeit und ihre Launen diskutieren, ist Fitelberg mir unbedingt, und solange man zögert, den Roman
anti-deutsch zu nennen (aber selbst damit wird hie und da
nicht
gezögert werden), möge man auch mit dem Vorwurf des Antisemitismus zurückhalten. –
Jetzt, nach Mitte August, während ich XXXVIII, das Kapitel der Violin-Sonate und die Konversation bei Bullinger über sinnliche Schönheit zu schreiben begann, spielten jene Ratssitzungen mit Erika, die sich viel mit dem von Mrs. Lowe {560} wieder eingeforderten Maschinen-Manuskript beschäftigt hatte und liebevoll darauf bedacht war, es von schleppenden Längen, unnötigen Schwierigkeiten für die Übersetzer, lastenden Pedanterien zu befreien, die auszumerzen ich allein nicht die Entschlußkraft gefunden hatte. Nun ging es, in verschiedenen Teilen des Buches, besonders den früheren, der Arbeitsleistung so manches Vormittags zu Leibe, – mit Zagen immer auf seiten der sorgenden Antragstellerin, die alles so schön geschrieben, es um alles so schade fand und eben nur meinte, das Ganze werde durch dies und jenes Opfer gewinnen. Wahrscheinlich hatte sie erwartet, daß ich um jede Zeile kämpfen würde und war überrascht von meiner Bereitwilligkeit, – die alten Datums war und nur aufgerufen zu werden brauchte. Kaum je gab es ein Dingen und Feilschen. »Aber ja! Bewilligt! Hinaus damit! Wir streichen anderthalb, wir streichen drei Seiten! Es wird leserlicher,
etwas
leserlicher sein.« Gewisse Eingriffe galten noch wieder dem Kapitel von Kretzschmars Vorträgen; Musik-Theoretisches ging über Bord; die Studentengespräche wurden gekappt, das Schwelgen in Brentano-Liedern eingedämmt, aus der Halle-Theologie ein ganzer Professor mitsamt seinem Kolleg hinausgeworfen. Schließlich, nach mancher Wiederkehr der klugen Mahnerin, waren es einige vierzig Blätter, um die sich das Manuskript erleichtert fand, – und genau die rechten. Sie fehlen niemandem, sie fehlen auch mir nicht; sie herauszunehmen, sie zu beseitigen, war eine Herzensentlastung, und nur allerlei aufhaltende Arbeit machte es freilich, die Bruchstellen unsichtbar zu machen und kleine Brücken zu bauen, wo der Zusammenhang zerrissen war. Dann konnte wieder eine große Menge endgültig fertigen Manuskripts an die Übersetzerin nach Oxford, England,
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