Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
bei dem die Jungmann sich furchtbar langweilte. Aber der Alte war angetan. Er hatte sich beim Hören an den Tonfall, die Sprechweise, den geistigen Rhythmus gehalten und stellte Stilvergleichungen {554} an. »Woran es am meisten erinnert«, sagte er, »ist Meredith.« Ich habe die Bemerkung im Gedächtnis behalten, weil sie sein Feingefühl für rhythmische Anklänge und Verwandtschaften kennzeichnete. War er doch selbst ein großer Rhythmiker, dem schon Richard Dehmel die heimliche Gebundenheit, den »inneren Vers« seiner angeblich »naturalistischen« schlesischen Volkssprache nachwies, und dessen Dichten sich oft, wie am Schluß des
Michael Kramer,
fast ohne Gedanken, oder in äußerster Gedankenvagheit, nur auf der Sprache wiegt. Einmal sagte er, der Anfang von Hofmannsthals
Andreas-
Fragment sei beeinflußt von der Art, in der Büchners
Lenz
beginnt. Eine rein rhythmische Beobachtung, auf die so leicht sonst niemand verfallen wäre.
    Von seiner Gutmütigkeit und Fürsorge muß ich auch erzählen. Er nahm auf Hiddensee sein Seebad zu sehr früher Stunde, und als ich eines Morgens zum Strande kam, fand ich ihn dort schon, das weiße Haar an den Kopf geklebt, im Bademantel, sich trocknend. Man begrüßte sich, und ich fragte beiläufig: »Wie war es?« – »Ganz angenehm«, antwortete er. »Ein bißchen warm nur.« – »Nun, desto besser!« fand ich und ging weiter. Ich war vielleicht fünfzehn Schritte gegangen, als er buchstäblich im Trabe hinter mir dreingelaufen kam. Wiederholt und dringlich rief er mich bei Namen und erklärte, als ich mich umwandte, ein wenig atemlos: »Sie müssen wissen, das war ein Scherz von mir. Das Wasser ist furchtbar kalt!« – Offenbar hatte er gefürchtet, ich würde einen Chok erleiden. Ein guter Mann. Und ein glücklicher Mann während des größten Teils seines Lebens. Als er zur Feier seines 70. Geburtstags (sie zog sich durch Wochen, diese Feier) in München war, hatten wir, zusammen mit Max Halbe, der ihn immer mit Zungen-r »Mein großer Freund« anredete, im Hotel Continental ein Champagner-Frühstück mit ihm, das sich zu einer seiner {555} geliebten Trink-Sitzungen ausdehnte: es dauerte von halb 2 bis 6 Uhr. Er war so großartig und bedeutungsvoll-nichtssagend wie je. Bannende Anstalten zu einer Äußerung brach er ab mit der Entscheidung: »Kinder, trinken wir lieber noch etwas von diesem harmlosen Zeug!« Das »harmlose Zeug« war der Moët-Chandon. Schwer geladen fuhr er schließlich in sein Zimmer hinauf, legte sich nieder und war im selben Augenblick eingeschlafen, – tatsächlich bevor noch die Person, die ihn zu Bette gebracht, die Tür hinter sich zugezogen hatte. Die Festaufführung der
Ratten
im Schauspielhaus sollte um 8 Uhr beginnen. Er kam gute zwanzig Minuten zu spät in seine Loge, wurde vom Publikum, das geduldig gewartet hatte, wie ein König empfangen, ließ sich nieder und folgte der Aufführung – einer glänzenden Aufführung seines vielleicht besten Stückes – bis zum letzten Wort mit dem größten Genuß.
    Ein glücklicher Mann, ein Segensmensch. Und er wollte es bleiben. Die Märtyrerrolle wies er ab. Den unbedingten Kampf gegen die heraufziehende völkische Barbarei nannte er »gnadenlos«, – ein sinnreich gewähltes Wort, das sowohl »ohne Gnade« wie »unbegnadet« meinte. Er dachte auch wohl, daß er es mit Goethe halten müsse, der gesagt hatte:
    »Mir gefällt’s, zu konversieren
    Mit Gescheiten, mit Tyrannen.«
    Mit Gescheiten! Aber auch mit blutigen Kaffern? Er war bereit dazu. Für ihn durfte sich durch die »Machtergreifung« nichts ändern. Er wollte sich die Repräsentation nicht nehmen lassen, wünschte seinen 80. Geburtstag wie den 70. zu begehen. Er blieb in Deutschland, hißte die Hakenkreuzflagge, schrieb »Ich sage Ja!« und ließ es sogar zu einer Entrevue mit Hitler kommen, der eine schmähliche Minute lang seinen stupiden Basiliskenblick in die kleinen und blassen, recht ungoethischen {556} Augen bohrte und weiter »schritt«. – Harden pflegte um 1900 den germanischen Liebling der jüdischen Kritik »der arme Herr Hauptmann« zu nennen. Nun war er wirklich »der arme Herr Hauptmann« und hat, isoliert, verbittert und von den Nazis auch noch verhöhnt für seine Willigkeit zum Kondeszendieren, gewiß unsäglich gelitten in der Stickluft, dem Blutdunst des Dritten Reiches, unsäglich sich gegrämt über das Verderben des Landes und Volks seiner Liebe. Seine späten Bilder zeigen die Züge des Märtyrers, der

Weitere Kostenlose Bücher