Die Entzauberung Asiens: Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert (German Edition)
Reich mußte sich von exponierten territorialen Positionen zurückziehen, blieb aber souveräner Herr im eigenen Hause. Man sollte daher die Situation des späten19. Jahrhunderts, als Asien in einem viel höheren Maße europäischen Diktaten unterlag, nicht auf das vorausgehende Jahrhundert zurückprojizieren.
Die realen Machtverhältnisse lassen sich recht gut an der Lage von Reisenden ablesen. Es ist eine Grundthese der Entzauberung Asiens , daß viele der europäischen Asienreisenden des 18. Jahrhunderts (soweit sie öffentlich beachtete Berichte publizierten) nicht passive Registratoren des Erlebten und Gesehenen oder wenig vertrauenswürdige Aufschneider waren, sondern Gelehrte von hoher Kompetenz und großer intellektueller Autorität: philosophes unterwegs. Unter imperialen Bedingungen würden sich solche Leute ungefährdet im Schutze der fremden Kolonialmacht bewegt haben. Dies war aber außerhalb der eben genannten Gebiete nirgends in Asien der Fall – und in Indonesien nur auf den größeren Inseln. James Cook und die übrigen maritimen Entdeckungsfahrer führten ohnehin ihre eigene Bewaffnung mit sich und waren auf ihren Schiffen kaum angreifbar. Anderswo war das Reisen unmöglich oder lebensgefährlich. Das Innere Chinas blieb verschlossen, in Japan unterlag jede Bewegung von Europäern striktester staatlicher Aufsicht. Man sollte daher den imperialen und kolonialen Charakter des 18. Jahrhunderts, zumal in Asien, nicht überschätzen. Das Sammeln von Daten und die Konstruktion von Wahrnehmungen durch Europäer vor Ort geschah in Westasien und Arabien, im Iran, in Afghanistan, Zentralasien, Burma, Vietnam, Siam (Thailand), China und Japan außerhalb des asymmetrischen Machtrahmens imperialer Strukturen.
Edward Said, die Orientalismus-Debatte und die Orientwissenschaften
Edward W. Saids Orientalism , eines der einflußreichsten Bücher im letzten Quartal des 20. Jahrhunderts, erschien 1978. Seither hat die Diskussion darüber nicht aufgehört. Eine neue und bessere deutsche Übersetzung aus dem Jahre 2009 ist ein Indiz dafür, daß auch in Deutschland das Interesse nicht nachläßt und vielleicht ein Rezeptionsdefizit eingeholt werden muß. Wie eine ganze Bibliothek anderer Bücher, so wäre Die Entzauberung Asiens ohne den Saidschen Impuls nicht geschrieben worden. Der originale und authentische Said läßt sich von den weitverzweigten Wirkungen des Textes nur schwer trennen. Diese Wirkung wiederum verdankt sich nicht allein den Qualitäten von Orientalism . Schon früh wiesen Kritiker auf Grenzen und innere Widersprüche des Buches hin, dessen brillante Anfangskapitel bald in persönliche Invektiven gegen Orientwissenschaftler abgleiten, die Nichteingeweihten heute kaum noch verständlich sind. Orientalism ist kein systematischer Text, kein durchkomponiertes Meisterwerk, empirisch oft auf schwankendem Grund stehend, theoretisch weniger originell als manch anderes Werk der siebziger Jahre (Ashcroft/Ahluwalia 2008, zur Kritik Varisco 2007, Schmitz 2008, Irwin 2006). Neben unzähligen Epigonen ist kein Nachfolger aufgetreten, der Saids Gedanken in theoretisch anspruchsvoller(er) Weise fortgeführt hätte. Die postcolonial studies gehen zwar wesentlich auf Said zurück, beziehen sich jedoch – gerade auch in Deutschland – mindestens ebenso sehr auf andere Autoritäten (etwa Homi Bhabha) und präsentieren sich heute als ein Amalgam verschiedener Einflüße (eine gute Einführung: Castro Varela/Dhawan 2009, daneben: Young 2003). Sie gewinnen ihre Identität eher aus einem charakteristischen Sprachcode und einer kritischen Abwehr jeglicher Form von «Eurozentrismus» als aus gedanklicher Stringenz.
Nach drei Jahrzehnten Orientalism (und mehrere Jahre nach dem Tod seines Verfassers 2003) hat sich der ursprüngliche politische und moralische Impetus, der sich gegen die Behandlung der Palästinenser durch den Staat Israel und die angebliche Komplizenschaft der britischen und französischen Orientforschung mit dem Imperialismus richtete, abgeschwächt. Wissenschaftspolitisch ist auf die nahezu hegemoniale Stellung des Saidianismus an zahlreichen literatur- und asienwissenschaftlichen Departments der USA nach dem September 2001 ein mit infamen Mitteln der Verdächtigung geführter Gegenschlag der amerikanischen Neokonservativen gefolgt (zu Biographie und Wirkung Saids: Schäbler 2008). Das alles hat die Said-Lektüre in Deutschland freilich kaum berührt. Hier sind vielmehr zwei Phänomene zu beachten: Zum
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