Die Entzauberung Asiens: Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert (German Edition)
Mechanismus» durch «rational empirisches Erkennen» bezeichnet (Weber 1920: 564), dann war dies genau das Ziel europäischer Aufklärer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Dabei wurde das «Fremde» (eine hier anachronistische Kategorie) keineswegs durch Exotisierung in ein rätselhaftes «Anderes» verwandelt. Vielmehr unterzog man es denselben Denkformen verstandesmäßiger Analyse und vernünftiger Beurteilung, die man auch auf politische und gesellschaftliche Zustände in Europa anwandte. Asien wurde entmystifiziert und innerhalb eines einheitlichen kognitiven Kontinuums begreifbar gemacht. Die postmoderne Kritik an europäischen Repräsentationen anderer Zivilisationen hat daraus eine Zwickmühle konstruiert: Man wirft europäischen Beobachtern Asiens entweder universalistische Anmaßung und Leugnung von «Differenz» vor – oder das Gegenteil davon: die Übersteigerung von Unterschieden durch «othering», mit anderen Worten: «Orientalismus». Beide dieser simplen und extremen Positionen verfehlen die Gemengelage des historischen Befundes.
Die Entzauberung Asiens im späten 18. Jahrhundert war mit einer Neubewertung verbunden. Erschien manchen Europäern noch in den mittleren Dekaden des Jahrhunderts einiges an Asien, besonders an China und Japan, manchmal aber auch an den Bewohnern der arabischen Wüste, lobenswert oder gar für Europa vorbildlich zu sein, so wurde im europäischen Bewußtsein die kulturelle Hierarchie auf der Welt neu geordnet, den Asiaten dabei ein Platz unterhalb der Europäer zugewiesen. Aggressionshemmungen gegenüber Asien verminderten sich; der Kontinent schien des Ordnung schaffenden und «zivilisierenden» Eingriffs der Europäer zu bedürfen, und diese glaubten sich zunehmend zu einem solchen Eingriff befugt (Barth/Osterhammel 2005). Kolonialismus war bis etwa 1760 vornehmlich eine Angelegenheit Amerikas gewesen, nun wurde er für Asien denkbar und realisierbar. Das entzauberte wurde zum belehrten, bedrängten und schließlich beherrschten Asien. Dies war selbstverständlich keine rein intellektuell erklärbare Veränderung. Nach der Mitte des 18. Jahrhunderts verschoben sich allmählich die machtpolitischen und wirtschaftlichen Gewichte innerhalb Eurasiens zugunsten des westlichen Endes des Kontinents.
Asien ist in dominanten europäischen Wahrnehmungen niemals wiederverzaubert worden. Die Romantik als Stilbewegung des (frühen)19. Jahrhunderts hat sich trotz Friedrich Rückert, der Brüder Schlegel und Samuel Taylor Coleridge, trotz orientalisierender Malerei in Frankreich und trotz Türken und Arabern in Opern von Rossini und Carl Maria von Weber für Asien relativ wenig interessiert, weniger als das18. Jahrhundert. Am Ende des 19. Jahrhunderts traten zwei Facetten eines irrationalistischen Asienbildes stärker hervor: zum einen das bedrohliche und dämonische Asien der Panik vor einer «gelben Gefahr», zum anderen das Asien zeitloser «Weisheit», die aus Heiligen Büchern des Ostens gelernt werden könne – der Ursprung heutiger «New Age»-Vorlieben für Tibetisches und chinesische Orakelzeichen. Beide Varianten blieben Nischenphänomene. Der herablassende Realismus von Geschäftsleuten und Kolonialadministratoren überwog. Selten weckten Asien insgesamt oder einzelne seiner Zivilisationen eine solche Begeisterung, wie führende Intellektuelle des 18. Jahrhunderts von Leibniz über Voltaire bis zu William Jones und Stamford Raffles sie empfunden hatten.
Das 18. Jahrhundert wird in der Gegenwart erneut aktuell. Die Rangordnungen in der Welt verschieben sich und nähern sich in mancher Hinsicht an die Verhältnisse vor dem Zeitalter europäisch-westlicher Arroganz und Vorherrschaft an. Jener Europazentrismus, dessen Entstehung das letzte Kapitel der Entzauberung Asiens skizziert, entspricht nicht länger den tatsächlichen Verhältnissen. Europäer werden unterscheiden müssen: Sie haben keinen Grund, die Werte ihrer moralischen, juristischen und politischen Traditionen einem indifferenten kulturellen Relativismus zu opfern. Auf der anderen Seite sind auf (West-)Europa und den nordatlantischen Westen ausgerichtete mental maps nicht die besten Orientierungshilfen für die Zukunft. Es fällt schwer zu übersehen, daß Europa nicht immer alles besser kann (aus einer umfangreichen Literatur besonders: Delanty 2006). Wenn man sich das eurasische Gleichgewicht des 18. Jahrhunderts in Erinnerung ruft, sollte es nicht erstaunen, daß China zu Beginn des 21. Jahrhunderts
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