Karlo und der grüne Drache - Kriminalroman
Donnerstag, 8. Oktober
1
Karlo Kölner holte tief Luft und schaute sein Gegenüber zweifelnd an. Süßholz-Sauer redete heute wieder mal besonders wirres Zeug. Auf der einen Seite lag das wahrscheinlich an seiner angeborenen intelligenztechnischen Grundausstattung. Andererseits übte der Alkohol heute einmal mehr seine zerstörerische Wirkung auf die Qualität der Konversation aus.
Karlo nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Bierflasche, popelte einen Moment nervös mit dem Daumennagel am Etikett und stellte sie auf dem dafür vorgesehenen Sims ab. Ihn fröstelte leicht. Es war ein kühler Herbsttag. Karlo stand normalerweise nie am Kiosk, um dort Bier zu trinken. Heute war er jedoch zufällig auf seinem Fahrrad an dem Büdchen in der Leo-Gans-Straße vorbeigefahren. Süßholz-Sauer hatte ihn mit einer großspurigen Geste zu sich gewinkt. Karlo war diesem Wink gefolgt und lauschte nun dem norddeutsch gefärbten Singsang von Sauers Stimme.
„He, Kölner, komm mal schnell her. Ich hab was für dich“, hatte er mit wichtiger Miene in die Dämmerung gekrächzt. Seine Stimme wies frappierende Ähnlichkeit mit der des allseits beliebten Faktotums Festus aus der kultigen Western-Serie
Rauchende Colts
auf. Was ihm aber den Namen Süßholz-Sauer einbrachte, war die Tatsache, dass sein Atem permanent scharf nach Lakritze roch. Das wiederum lag an der hohen täglichen Dosis eines bekannten Magenbitters, den er neben ungezählten Bierchen am Wasserhäuschen zu konsumieren pflegte. Es gab böse Zungen, die behaupteten, mit der Menge der Fläschchen, längs aneinandergereiht, könne man die Strecke von der Erde zum Mond locker überbrücken. Der zweite Teil des Namens war schneller erklärt.
Es war sein Nachname.
Seinen Vornamen kannte niemand. Was zum einen daran lag, dass ihn noch keiner danach gefragt hatte, zum anderen hauptsächlich an seinem Spitznamen. Spitznamen haben immer auch eine karikierende Wirkung. Sie scheinen unseren ganz persönlichen Eindruck der betreffenden Person zu verstärken, ja, durch ständige Wiederholung im Alltag immer wieder zu bestätigen. Zuweilen versteckt sich die Wirklichkeit – oder sollte man besser sagen: die Wahrheit? – auf perfide Weise dahinter. Manchmal möchten die Menschen eben nur das sehen, was sie sehen wollen.
Was den aufmerksamen Beobachter allerdings etwas befremden konnte, war der starke norddeutsche Einschlag in der Aussprache von Sauer. Das passte einerseits weder zum
Déjà-vu
eines Fans der alten Western-Serie – in Dodge City sprachen sie garantiert nicht norddeutsch – andererseits auch nicht zum Äußeren des Mannes mit der krächzenden Stimme. Dieses tendierte eher in Richtung „traurige Gestalt“.
„Jetzt machs mal nicht so spannend“, stieß Karlo leicht genervt aus. „Ich muss morgen früh raus und will hier keine Wurzeln schlagen.“ Er schaute den spindeldürren Mann scharf an. Der neigte den Kopf und blickte bauernschlau zurück.
„Sag mal, suchst du nicht eine Wohnung?“, warf er Karlo wichtigtuerisch hin.
Süßholz-Sauers Stimme schien vor Stolz zu vibrieren. Karlo Kölner beobachtete fasziniert seinen spitzen Adamsapfel, der erregt auf und ab hüpfte, als er sogleich weitersprach.
„Ich hätte da vielleicht einen Tipp für dich. Du wohnst doch immer noch in deiner Gartenhütte, oder?“
Sauer rollte bühnenreif mit seinen hervortretenden Froschaugen.
Karlo legte die Stirn in Falten und musterte den mageren Mann ungläubig.
„Du? Ausgerechnet du weißt eine Wohnung für mich? Wer vermietet die? Und vor allen Dingen: Wo ist die Bude und was kostet sie?“
„Na ja, der dicke Gollmann hat gesagt, ein Kumpel von ihm hätte erzählt, dass ein guter Freund von ihm einen Nachmieter sucht.“
Karlo ließ die Schultern hängen. Na prima. Genau so hatte er sich das vorgestellt.
„Alles klar, Sauer, alles klar. Und vielen Dank auch.“
Er schnippte zwei Euro hinter das Fenster des Kiosks und stellte die leere Bierflasche daneben. Dann vollführte er eine Drehung nach rechts und angelte lässig nach seinem Fahrrad.
Er hielt schon den Lenker in beiden Händen und sein rechtes Bein bewegte sich gerade über den Gepäckträger, da kratzte die beleidigte Stimme des abgemagerten Trinkers erneut an seinen Trommelfellen.
„Ach, Quatsch, was ist denn los, Kölner? Glaubst du mir nicht? Willst du denn nicht die Telefonnummer von dem Kerl, der die Bude vermietet?“
Karlo erstarrte in der Bewegung. Für ein oder zwei Sekunden schwebte sein Bein
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