Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erben

Die Erben

Titel: Die Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Golding
Vom Netzwerk:
machte einen Satz herum und schnatterte die Tangzöpfe an, die sich wieder bewegten. Liku kreischte. Nil beugte sich zu ihr hinab und nahm ihren Kopf zwischen die Brüste und strich ihr sanft die Locken den Rücken hinunter. Fa zerrte Lok herum, daß er sie ansehen mußte. »Warum?«
    Lok kniete einen Augenblick hin und kratzte sich im Haar unter seinem Mund. Dann wies er auf den feuchten Nebel, der von der Insel auf sie zutrieb. »Die Alte. Sie war da draußen. Und es.« Die Luft stieg an der Wand empor, und unter seiner Hand flogen die Raben auf. Fa nahm den Arm von ihm, als er, der Mann, mit Worten an Dinge rührte, die einzig die alte Frau betrafen. Aber Loks Blick blieb an ihrem Gesicht haften. »Sie war da draußen –«
    Völliges Nichtverstehen machte sie beide schweigen. Fa runzelte wieder die Brauen. Sie war jetzt keine Frau, bei der man liegen konnte. Etwas von der Alten hing unsichtbar in der Luft um ihren Kopf. Lok flehte noch einmal. »Ich habe mich zu ihr herumgedreht und bin gestürzt.« Fa schloß die Augen. Aus ihren Worten klang Strenge. »Ich kann dieses Bild nicht sehen.«
    Nil führte Liku den anderen hinterdrein. Fa folgte, als ob Lok nicht dagewesen wäre. Er tappte benommen und scheu hinter ihr her und ward sich seines Fehltritts bewußt; aber im Gehen murmelte er: »Ich habe mich zu ihr umgedreht –«
    Die anderen waren ein Stück Wegs weiter beieinander stehen geblieben.
    Fa rief ihnen zu:
    »Wir kommen!«
    Ha schrie zurück:
    »Hier ist eine Eisfrau!«
    Über der Stelle, an der Mal stand, war eine Rinne in der Klippe, in der alter Schnee lag, den die Sonne nicht berührt hatte. Schwere und Kälte und dann der strömende Regen des ausgehenden Winters hatten den Schnee zu Eis zusammengepreßt, das gefährlich überhing, und Wasser rann zwischen der schmelzenden Kante und dem wärmeren Felsen heraus. Obwohl sie noch nie in dieser Rinne eine Eisfrau überrascht hatten, wenn sie aus ihrer Winterhöhle am Meer hierher gezogen waren, kam keinem von ihnen der Gedanke, daß Mal sie zu zeitig in die Berge geführt haben könnte. Lok vergaß seine Errettung aus großer Gefahr und das seltsam-unnennbar Neue an dem Sprühschleier und lief auf die anderen zu. Er trat an Has Seite und rief: »Oa! Oa! Oa!« Ha und die anderen fielen ein. »Oa! Oa! Oa!«
    Das ruhelose Donnern des Falls verschlang ihre Stimmen fast völlig, doch die Raben hörten die Rufe und schreckten auf und glitten dann wieder in weichen Kurven dahin. Liku schrie auch und schwenkte die kleine Oa, wenngleich sie nicht wußte warum. Das Junge erwachte wieder, fuhr sich mit der rosigen Zunge über die Lippen wie ein Kätzchen und schaute aus dem Haargelock hinter Fas Ohr hervor. Die Eisfrau hing erhaben über ihnen. Obwohl tödliches Schmelzwasser ihrem Leib entsickerte, wollte sie sich nicht rühren. Dann erstarb jedes Wort unter ihnen und sie gingen schnell weiter, bis Fels die Gestalt verbarg. Sie erreichten in Schweigen die Steinblöcke am Fall, wo die riesige Klippe im Wirbel und Sturz weißen Wassers nach ihren Füßen Ausschau hielt. Sie waren fast in Augenhöhe mit dem scharfen Bogen, in dem das Wasser über den Sims hinabfiel, Wasser so klar, daß sie hindurchsehen konnten. Tang gab es da, der sich nicht in leisem Rhythmus wiegte, sondern toll bebte, als wollte er mit Gewalt entfliehen. Die Felsen am Fall waren sprühfeucht, und Farne neigten ihre Wedel in leeren Raum. Sie schenkten den stürzenden Wassern kaum einen Blick und schritten schneller aus.
    Oberhalb des Wasserfalls kam der Fluß durch eine Spalte in der Bergkette dahergeeilt.
    Jetzt da der Tag fast vorüber war, lag die Sonne in dieser Kerbe und blendete sie im Wasser. Jenseits strömten die Fluten an steiler Wand dahin, die schwarz war und vor der Sonne verborgen; aber der diesseitige Hang der Schlucht war zugänglicher. Hier erstreckte sich eine schräge Steinbank, eine Terrasse, die allmählich zur Klippe wurde. Lok achtete nicht der nie betretenen Insel und nicht des Berges dahinter über dem jenseitigen Ufer. Er eilte den anderen hinterdrein, denn die Erinnerung kündete ihm plötzlich von der Geborgenheit der Terrasse. Nichts konnte sie dort vom Wasser her anfallen, denn die Strömung riß alles den Fall hinab; und die Klippe über dem Getose gehörte den Füchsen und Ziegen, den Gefährten, den Spitzohren und den Vögeln. Selbst der Steig von der Terrasse hinunter zum Wald hatte einen so engen Eingang, daß ihn ein Mann mit einem Dornenast versperren konnte.

Weitere Kostenlose Bücher