Die Erben
Licht. Es sah das Feuer, schlüpfte unter Loks angewinkelten Beinen hindurch, faßte nach Mals Knöcheln und richtete sich daran auf. Zwei kleine Feuer erglänzten in seinen Augen, und es blieb so stehen, beugte sich nach vorn und hielt sich an dem bebenden Fußgelenk fest. Die Gefährten teilten ihre Aufmerksamkeit zwischen ihm und Mal. Da barst ein Zweig, und Lok schreckte auf und Funken sprühten in die Dunkelheit. Das Junge war auf allen vieren, ehe noch die Funken niederschwebten. Es krabbelte zwischen den Beinen umher, kletterte an Nils Arm hoch und suchte sich in ihrem Rückenhaar ein Versteck. Da war jetzt eines der kleinen Feuer an Nils linkem Ohr, ein Feuer, das nicht blinzelte und das aufmerksam ausspähte. Nil drehte das Gesicht zur Seite und rieb ihre Wange zart an dem Köpfchen des Kleinen. Seine eigenen Locken und das Fell seiner Mutter bargen es. Ihr Haarbüschel hing darüber und war ihm Schutz. Da erlosch der kleine feurige Punkt an ihrem Ohr.
Mal richtete sich auf, daß er mit dem Rücken gegen die Alte lehnte. Er sah alle der Reihe nach an. Liku machte den Mund auf um zu sprechen, aber Fa hieß sie schweigen. Nun sprach Mal.
»Am Anfang war die große Oa. Sie gebar die Erde aus ihrem Schoß. Sie säugte. Die Erde gebar die Frau, und die Frau gebar den ersten Mann aus ihrem Schoß.« Sie lauschten ihm still. Sie wollten mehr hören, alles was Mal wußte. Er konnte das Bild beschreiben von der Zeit, da es viele Gefährten gegeben, die Geschichte, die sie alle so gern hatten, von der Zeit, da das ganze Jahr Sommer gewesen war und Blüten und Früchte am gleichen Ast gehangen hatten. Mal wußte auch die lange Reihe der Namen, die bei ihm begann und dann rückwärts ging und in der die jeweils Ältesten der Gefährten vorkamen: aber heute erzählte er nichts von alledem.
Lok hockte sich zwischen ihn und den Wind. »Du bist hungrig, Mal. Ein Mann, der hungrig ist, dem ist kalt.«
Ha reckte den Kopf.
»Wenn die Sonne wiederkommt, suchen wir Nahrung. Bleib beim Feuer, Mal, wir bringen dir zu essen, und du wirst wieder stark werden und nicht mehr frieren.« Dann rückte Fa näher und lehnte sich an ihn, so daß er von drei Gefährten vor der Kälte geschützt war. Er sprach unter Husten.
»Ich sehe ein Bild von dem, was getan werden muß.« Er neigte den Kopf und blickte in die Glut. Sie warteten. Sie sahen, wie sehr das Leben ihn entblößt hatte. Das lange Haar auf der Braue war schütter geworden, und die Locken, die ihm hätten über die fliehende Kopfwölbung hängen sollen, waren zurückgewichen und hatten oberhalb der Brauen eine fingerbreite Bahn nackter, faltiger Haut hervortreten lassen. Die Höhlen darunter waren tief und dunkel, und die Augen darinnen stumpf und lichtlos vor Schmerz. Nun hielt er eine Hand hoch und führte sie dicht vor das Gesicht.
»Die Gefährten müssen Nahrung suchen. Die Gefährten müssen Holz suchen.«
Er faßte die Finger der linken Hand mit der rechten, packte sie fest, als vermöchte der Druck die Gedanken in ihnen zu bannen und ihrer Herr zu werden. »Ein Finger für Holz. Ein Finger für Nahrung.« Er warf den Kopf herum und begann von neuem. »Ein Finger für Ha. Für Fa. Für Nil. Für Liku –« Er war mit seinen Fingern am Ende und starrte leise hüstelnd auf die andere Hand. Ha rückte unruhig auf seinem Platz hin und her, sagte aber nichts. Da entspannte Mal seine Brauen und gab es auf. Sein Kopf fiel nach vorn, und er faltete beide Hände über dem grauen Haar in seinem Nacken. Sie hörten aus seiner Stimme, wie erschöpft er war.
»Ha soll Holz aus dem Wald holen. Nil wird mit ihm gehen und das Junge.« Wieder wurde Ha unruhig, und Fa nahm den Arm von des Alten Schulter, aber Mal fuhr fort.
»Lok sucht mit Fa und Liku Nahrung.« Ha sprach.
»Liku ist zu klein, um in die Berge zu gehen und auf die Ebene!« Liku schrie:
»Ich will mit Lok gehen!«
Mal murmelte mit dem Kopf zwischen den Knien: »Ich habe gesprochen.«
Jetzt da dies geregelt war, erfaßte sie Unruhe. Sie wußten, fühlten in jedem Muskel, daß etwas nicht stimmte, doch das Wort war gesprochen. War das Wort gesprochen, dann war das, als sei die befohlene Handlung schon im Gange, und Sorge überkam sie. Ha schnickte aufs Geratewohl einen Stein gegen die Felswand der Höhlennische, und Nil jammerte wieder leise vor sich hin. Nur Lok, der die wenigsten Bilder sah, erinnerte sich doch der wunderbaren Bilder von Oa und ihrer Freigiebigkeit, die ihn hatten auf die Terrasse hinaushüpfen
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