Die Erben der alten Zeit - Das Amulett (Die Erben der alten Zeit - Trilogie) (German Edition)
Gang setzte, sobald jemand den Lichtschalter betätigte.
Charlie seufzte resignierend. Camilla schlief also noch nicht. Ihr angespanntes Warten und Horchen, bis alle Geräusche, die ein Mensch im wachen Zustand von sich gab, verstummt waren, sollte also wieder von vorne losgehen. Zum dritten Mal.
Anscheinend hatte Camilla ihre abendliche Kaffeeorgie mal wieder übertrieben. Charlie überlegte, ob sie ihren Plan nicht lieber ein anderes Mal durchführen sollte. Dann , wenn zum Beispiel, wie eigentlich geplant, Maria Nachtschicht hatte. Maria schlief immer fest wie ein Fossil. Nichts und niemand konnte ihre Nachtruhe stören. Leider war Maria plötzlich erkrankt, und keiner wusste wie lange sie das heimische Bett hüten würde. Für Maria war jetzt also Camilla eingesprungen. So ziemlich der schlimmste nächtliche Ersatz für Maria den man sich vorstellen konnte, zumindest wenn man vorhatte, bei Nacht und Nebel das Weite zu suchen. Also doch ihre Flucht verschieben? Charlie verwarf diesen Gedanken schnellstens wieder. Viel zu riskant. Ingrid konnte das Verschwinden der Akte Charlotta Johansson bemerken und Verdacht schöpfen. Sie musste ihr Glück heute Nacht versuchen. Riskant hin oder her, irgendwann musste doch auch jemand wie Camilla einschlafen.
Ingrid Olafsson. Bei dem Gedanken an ihre Sozialarbeiterin beschlich Charlie wieder das Schuldgefühl, welches sie auch am Vortag auf dem Sozialamt gespürt hatte. Ingrid, ihre Ingrid, die seit Charlies neuntem Lebensjahr so viel für sie getan hatte.
Damals mit neun Jahren ging sie in die dritte Klasse derselben Schule, die sie heute Vormittag, viereinhalb Jahre später, wohl zum letzten Mal besucht hatte. Damals, kurz nach ihrem neunten Geburtstag, war sie ein ganz normales, fröhliches junges Mädchen gewesen. Ein Mädchen das gerne mit Freunden spielte, durch den Wald streifte, Strick und Paradies hüpfte und mit Murmeln Geschicklichkeitswettbewerbe gewann. Ein Mädchen welches das Leben mit allen seinen Schwierigkeiten und Möglichkeiten in sicherer Gewissheit verlebte, dass alles schon irgendwie funktionieren würde und am Ende immer gut ausging. Für den guten Ausgang sorgten nur allzu oft ihre Eltern, die immer für sie da waren. Ihre Eltern, die sie bedingungslos liebten, sie beschützten und gegebenenfalls dem Lehrer erklärten, dass Charlotta es bestimmt nicht böse gemeint hatte. Sie wäre nur in ihrem Übermut mal wieder über das Ziel hinaus geschossen. Sie habe sich auch schon bei allen Beteiligten entschuldigt. Und abgesehen davon wäre es ja auch nicht so furchtbar schlimm, seinen Namen in den Schnee zu pinkeln. Jungs machten dies ja ständig. Nun, sie würden die Tatsache, dass Charlie ein Mädchen sei und kein Junge, ja einsehen, aber Charlie hätte ja nicht wissen können, dass ein Elternpaar der beteiligten Jungs an der Geschichte, ihr nacktes Hinterteil hatten sehen können. Sie wollte ja bloß beweisen, dass Mädchen eben alles tun können was Jungs auch so tun. Diese Jungs hätten Charlotta nun mal eben nicht herausfordern sollen. Kurzum: Charlie war ein Wildfang mit sehr viel Temperament. Sie gehörte zu jenen Mädchen, die nicht nur vom Körperbau her ein eher jungenhaftes Aussehen besaßen, (abgesehen von ihren langen schwarzen Locken) sondern auch bei Spiel und Spaß ein mehr robustes Verhalten an den Tag legten. Aber trotz ihres Temperaments hatte Charlie das Herz am rechten Fleck. Sie verabscheute Ungerechtigkeiten und nahm Schwächere in Schutz, wenn sie der Meinung war, dass Hilfe benötigt wurde. (Ob diese Schwächeren nun Menschen oder Tiere waren, machte keinen Unterschied.) Wie jedes Kind hatte sie gewisse Interessen und auch Dinge die sie hasste, wie z.B. Hausaufgaben, Lakritz und Fußball. Am liebsten ritt sie auf ihrem Isländer durch die schwedischen Wälder und begleitete ihren Vater zum Off-Road. Off-Road war die große Leidenschaft ihres Vaters Per. Er und sein bester Freund Jonas nutzten jedes freie Wochenende, um auf einem großen, extra dafür vorgesehenen Gelände mit ihren selbst gebauten Geländewagen über Stock und Stein, durch matschige Tümpel und über steile Berge zu fahren. Per ließ Charlie natürlich oft ans Steuer. Seit sie über das Lenkrad gucken konnte (anfangs mit einem Stapel Kissen unter ihrem Hintern), konnte Charlie ein Auto lenken. Per bediente die Pedale. Später lernte sie auch Kuppeln, Bremsen und Gas geben. Per erzählte jedem, der es hören oder auch nicht hören wollte, wie außergewöhnlich
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