Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
senkte sich die Nacht über Trymhem in Jättehem. Die drei Gestalten kauerten sich im Schutze von Glers Rumpf an die Stallwand. Es wurde immer kälter. Dann begann es auch noch zu schneien. Die ersten Windböen kündigten einen Schneesturm an.
»Na, das sind ja tolle Aussichten!«, meuterte Tora und kroch näher an Charlie heran, um von der magisch erzeugten Wärme des Hexensteins zu profitieren. Charlies Gedanken flogen nach Vanaheim zu Biarn.
Sora tätschelte Hravn und wandte sich Pollux und Gemini zu.
»Ein Sturm zieht auf.« Gemini blickte über die Ebene. Es schneite immer stärker.
»Wenn wir uns beeilen, dann schaffen wir es noch rechtzeitig ins Warme«, meinte Pollux.
»Rechtzeitig wozu?«, fragte Gemini. »Es schneit doch schon.«
Pollux schnaubte.
»Los Sora, springt auf. Ich trage dich bis ins Dorf. Ich bin wirklich nicht scharf darauf, mitten in einen Schneesturm zu geraten.«
»Bist du sicher?« Sora sah unsicher zu Pollux auf. Kentauren ließen so gut wie niemals Menschen auf sich reiten. Es war nicht verboten, doch es gehörte eindeutig nicht zum guten Ton, das hatte Sora schnell begriffen. »Wir sind keine Arbeitstiere, sondern ein denkendes, eigenständiges Volk«, hatte Gemini ihr einmal erklärt.
»Ganz sicher!«, sagte er überzeugt. »Ich breche mir nichts dabei ab, dich zu tragen. Oder glaubst du, ich bin nicht stark genug?« Herausfordernd sah er Sora an. Ein Lachen versteckte sich hinter der etwas derben Frage. Sora legte den Kopf schief und sagte ebenso herausfordernd:
»Das werden wir ja sehen!« Und mit einem Satz landete sie auf Pollux’ muskulösen Rücken. Gemini verdrehte die Augen.
»So viel zur Ehre der Kentauren«, verhöhnte sie ihren Bruder. »Ein kleiner Sturm, und schon lässt der Drang zum warmen Ofen dich alles andere vergessen! Du bist verweichlicht, Bruderherz!«
Pollux sah stolz über seine Schwester hinweg.
»Rede du nur, Schwesterchen. Du wirst mir noch dankbar sein.«
Sora grinste und zog den Lederpelz enger um sich. Der Sturm hatte an Kraft gewonnen und fegte die Schneeflocken in kräftigen Böen den Hang hinauf. Gemini runzelte die Stirn.
»Los, beeilt euch«, sagte sie dann unruhig. »Ich glaube das hier ist nur die Vorhut.«
Als Pollux vorwärts sprengte, riss es Sora fast von seinem Rücken. Pollux griff mit beiden Händen nach hinten und packte ihre Arme.
»Halte dich gut an mir fest!«, brüllte er, um den Sturm zu übertönen. Sora schlang ihre Arme um seinen Oberkörper.
»Bilde dir bloß nichts ein!«, brüllte sie zurück. Pollux schallendes Gelächter ging im Sturm unter.
Im Galopp stürmten die Kentauren den Hang zum Dorf hinab. Der Sturm steigerte sich zu Orkanstärke. Sora spürte wie die kräftigen Muskeln des Pferdekörpers unter ihr arbeiteten, und sie fühlte auch, dass es von Galoppsprung zu Galoppsprung schwerer wurde, vorwärtszukommen. Obwohl Pollux zusätzlich Sora trug, fiel Gemini bald zurück.
»Komm! Vorwärts!«, brüllte Pollux und wechselte in den Trab, um Gemini nicht zu verlieren. Er ergriff ihre Hand und zog sie mit sich in den Schutz der ersten Gebäude.
»Da siehst du«, schnaufte er triumphierend, »hätte ich Sora nicht getragen …«
»Ja, ja, schon gut«, presste Gemini außer Atem hervor. »Der Herr Bruder hat alles richtig gemacht!«
Pollux tätschelte Soras Hände, die immer noch seine Taille umklammerten.
»Einen festen, warmen Griff hat das Mädchen!« Sora ließ sofort los und Pollux lachte schallend.
In diesem Augenblick sprang eine weiße große Gestalt vor ihnen in die Höhe! Gleichzeitig ertönte eine warnende Stimme und Pollux machte einen enormen Satz zur Seite. Sora verlor den Halt und rutschte über die Kentaurenkruppe hinweg. Ihre Hände und das Gesicht gruben sich vornüber in den Neuschnee.
Sie war so überrumpelt, dass sie nur ein gurgelndes Stöhnen von sich geben konnte.
Ein Schreckensschrei folgte, dann erklang Geminis perlendes Lachen.
Als sich Sora hochrappelte, sah sie in die blauen Augen eines schwarzgelockten Mädchens. Sora öffnete erstaunt den Mund, doch es kam kein Wort über ihre Lippen. Die Zeit schien für sie still zu stehen. Sie starrten sich eine gefühlte Ewigkeit lang an – das Mädchen und die junge Frau.
Charlie konnte es kaum fassen.
Sie war es! Die Frau aus ihren Visionen. Die Frau, die von einem anderen, dritten Planeten hierhergekommen war. Die Frau mit dem dritten Teil des Amuletts!
Im Schein des erleuchteten Fensters betrachteten sie
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