Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
einander neugierig.
Obwohl … Charlie zögerte und runzelte die Stirn.
Keine Bernsteinaugen …
Charlie hob ihre Hände in einer etwas hilflosen Geste.
»Du bist es«, hauchte sie. »Aber deine Augen …«
Da geschah es. Die Frau blinzelte und zwei Bernsteine funkelten Charlie entgegen. Dann waren die Augen wieder blau. Die Frau lag immer noch zu Charlies Füßen im Schnee.
»Ich habe dich in meinen Träumen gesehen«, sagte sie mit klarer Stimme. Charlie nickte kaum merklich.
»Man nennt mich Charlie«, sagte sie und reichte der schneebedeckten Frau eine helfende Hand.
Sora ergriff sie dankbar und kam auf die Beine. Sie lächelte.
»Ich heiße Sora.«
Charlie lächelte zurück. »Wir haben dich gefunden«, sagte sie dann einfach, und Sora schien zu verstehen.
»Dann bist du mir zuvorgekommen«, sagte sie.
»Ihr kennt euch?«, fragte Pollux verwundert.
»Nein!«, kam es im Chor und Pollux blickte noch verwirrter drein.
Geminis Gesicht drückte plötzliches Verstehen aus.
»Ist sie …?« Sie zeigte auf Charlie. Sora nickte ohne den Blick von Charlie zu nehmen.
»Ja«, sagte sie. »Sie ist das Mädchen aus meinen Visionen.«
Pollux bekam einen dümmlichen Gesichtsausdruck.
»Bist du ein Mädchen?«, musterte er Charlie verwirrt. Die eindeutig männliche Kleidung stand seiner Vorstellungskraft im Wege.
»Sieh hinter die Fassade«, raunte Gemini ihrem Bruder zu. Etwas lauter sagte sie zu Charlie: »Ich nehme an, du hast gute Gründe.«
»Die habe ich«, antwortete Charlie. »Und ich wäre euch allen sehr dankbar, wenn ihr es für euch behalten könntet.«
»Hier passieren in letzter Zeit vielleicht Dinge!«, sagte Pollux. Dann lachte er: »Freunde von unserer Sora sind selbstverständlich auch unsere Freunde. Ich bin Pollux, Sohn des Ursa Major und der Libra, und ich heiße euch als unsere Gäste herzlich willkommen!«
Gemini lächelte ihrem Bruder zu. Dafür liebte sie ihn – für seine etwas verwirrte, eigensinnige Art und für seine uneingeschränkte Herzlichkeit.
Kunar trat vor.
»Ich danke dir, Pollux. Mein Name ist Kunar und dies ist meine Schwester Tora!«
Tora lächelte und deutete einen Knicks an.
Charlie und Sora sahen sich wieder an – verwundert, erleichtert, musternd und mit einem seltsamen Gefühl der Zusammengehörigkeit.
Kurz darauf war Gler im hinteren Teil des Stalles untergebracht und die Gäste auf Strohballen um den großen Tisch platziert. Libra und Ursa Major hatten ihre Gäste höflich begrüßt und kurzerhand für drei Personen mehr gedeckt.
Doch gerade als sie ihr Mahl beginnen wollten, klopfte es an das Stalltor.
»Herein!«, brüllte Ursa Major, sodass Gler in seiner Ecke erschrocken zusammenfuhr. Das Tor wurde geöffnet, ein schneebedeckter Kentaurenkörper schob sich hindurch. Es war Zodiak. Er sah sich zufrieden um.
»Hier habt ihr also Unterkunft gefunden! Nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Thul erlaubt euch mein Vater, in Trymhem zu bleiben. Ich habe euch gesucht. Gar nicht so einfach dort draußen. Es hat mich beinahe fortgerissen.«
Gemini klopfte mit einer Hand auf den strohbedeckten Boden neben sich.
»Komm, Zodiak. Setze dich zu mir«, forderte sie ihn liebevoll auf. Zodiak lächelte zaghaft zurück und verneigte sich kurz. Dann wandte er sich an Ursa Major, der sich bereits über das Abendessen her-machte.
»Mein Vater wünscht deine Anwesenheit, Ursa Major, und auch deine, Libra«, richtete er aus. Er schritt zu Gemini hinüber und drückte die Hand, die sie ihm reichte. Dann ließ er sich neben ihr ins Stroh nieder.
»Jetzt?«, brummte Ursa Major, ohne im Essen innezuhalten. »Er wird warten müssen, bis ich Libras wunderbares Mahl gebührend gewürdigt habe!« Libra schlug lächelnd ihre langen Wimpern nieder. Zodiak nickte.
»Greif zu, mein Liebster«, bot Gemini ihm an. Zodiak ließ sich nicht zweimal bitten. Libras Kochkünste waren in ganz Trymhem berühmt.
15. Ein stürmischer und aufschlussreicher Abend
D er Sturm pfiff um den Stall und zerrte an den Fensterläden. Schnee wurde in Böen durch die Dunkelheit gepeitscht. Das ungemütliche Wetter ließ den Kentauren-Stall noch wärmer und einladender erscheinen.
Nach dem üppigen Mahl verabschiedete sich Zodiak und begleitete Ursa Major und Libra durch den Sturm zum Stall von Klan-Oberhaupt Taurus in der Ortsmitte.
»Wartet nicht auf uns«, brummte Ursa Major. »Es kann spät werden, womöglich übernachten wir bei Taurus.«
Pollux schloss mit einigem Kraftaufwand
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