Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
damit gerechnet haben.
Hanna schüttelte ernüchtert den Kopf und gab Aslak das Zeichen zum Aufbruch.
Auf dem Rückweg blieb Aslak plötzlich stehen, und Hanna lief direkt in seinen langen Rücken.
»Was ist?«, fauchte sie. Ihr Begleiter drehte sich hastig zu ihr um. Im Schein einer Fackel konnte sie seine weit aufgerissenen Augen sehen.
»Zurück! Da kommt jemand!«, zischte er ihr ins Ohr.
Und dann ging alles ganz schnell. Aslak schob sie unsanft vor sich her, packte sie am Arm und presste sie an einer der dunkelsten Stellen des Ganges dicht an die Wand!
Sie hielt die Luft an.
Tatsächlich!
Schwere Schritte näherten sich, begleitet von einem vergnügten Pfeifen.
Hanna betete, dass der nächtliche Besucher diesen Gang sehr gut kannte und sich somit nicht vorantasten musste.
Der Mann begann, fröhlich vor sich hin zu summen und laut zu singen. Er war fast bei ihnen.
»Ein Fass für Oden,
ein Fass für unseren Allvater,
den Rabengott und Liebhaber des edlen Tropfens …
Ein Fass Odrörer für unseren Heervater,
den Fürsten der Gehenkten,
auch Grimner, der Maskierte
oder Ygg, der Furchtbare genannt …«
Er war nur noch wenige Schritte entfernt.
»Ein Fass für Bölvärk, der Unglück und Verderben bringt,
das edle Getränk, das die Sinne betört,
dem, der immer und überall den Sieg bringt!
Ein Fass für Gagnrâd,
wer ihn um Hilfe bittet, zahlt einen hohen Preis …«
Er war an ihnen vorbei!
»Ein Fass voll Odrörer für unseren Gott!
Oden unser Fürst und Herr!«
Der Mann, den Hanna an seiner Stimme als Kvaser erkannte, begann sein fröhliches Liedchen wieder von vorne und summte und trällerte, dass sich die Balken bogen – falls welche da gewesen wären.
Hanna konnte ihr Glück kaum fassen. Sie waren nicht entdeckt worden. Und das, obwohl Kvaser direkt an ihnen vorbeispaziert war! Hanna fragte sich, wie viel Odrörer Kvaser wohl täglich kostete , um die Qualität von Odens liebstem Getränk zu garantieren …
Erst als sie Kvaser weit entfernt sein Lied brüllen hörten, kam wieder Leben in die beiden. So schnell ihre Beine sie trugen, rannten sie hinauf zum Gladsal.
Sobald Aslak an die Mauer trat, öffnete sich die geheime Tür und gab den Weg frei. Magie war also auch hier der Schlüssel zum Erfolg.
Niemand war zu sehen, und schon waren sie am Torbogen gegenüber. Aslak platzierte zielsicher seine Hand auf einem der Mauersteine. Der Stein versank, und die Tür zum Gnipahâl öffnete sich. Schnell huschten sie hinein. Die Tür glitt hinter ihnen an ihren Platz, und Hanna lehnte sich atemlos an die kalte Wand aus Naturstein.
»Das war knapp!«, flüsterte sie.
»Kann man wohl sagen«, erwiderte Aslak.
»Eigentlich sagt man doch, dass ein geliebtes Kind viele Namen hat. Offensichtlich gilt das auch für jemanden, der wirklich verhasst ist«, sagte Hanna.
»Du vergisst, dass Asgârds Bärsärker Oden tatsächlich vergöttern. Und außerdem: Wer bereits so lange lebt, kann nicht nur auf einen Namen hören«, meinte Aslak.
»Los, komm. Auf zur alten Fulla, und dann machen wir, dass wir hier wegkommen. Für heute habe ich genug!«, sagte Hanna. Aslak konnte ihr nur beipflichten.
Sie eilten den dunklen Gang hinab zum Gnipahâl. Dieses Mal wussten sie, wie weit sie gehen durften, ohne den Garm zum Angriff zu reizen. Im Eingang zum Kerker blieben sie stehen und sahen sich im schwachen Licht des Vanaheim-Mondes um. Der Garm hatte sie entdeckt und wartete regungslos unter dem kleinen Fenster. Er knurrte leise.
Fulla kauerte hinter den grünlich schmiedeeisernen Gittern ihres Verlieses und schien zu schlafen.
»Fulla?«, rief Hanna. Erstaunlich schnell war die Alte auf den Beinen und zischte Hanna an.
»Scht! Leise!«, wisperte sie eindringlich und warf einen unruhigen Blick in die Zelle neben sich. Hanna verstand sofort. Dort auf dem kalten Boden lag regungslos eine Gestalt.
»Schon wieder ohnmächtig …«, spottete sie und grinste breit. »Das hatte ich fast vergessen!«
Sie lachte höhnisch auf und begann amüsiert zu erzählen.
»Das ist Helblinde , ein Raidho. Allerdings kein sehr schlauer und noch dazu hinterhältig und ehreslüstern.«
Sie gluckste vor sich hin.
»Habt ihr was zu essen?«, fragte sie barsch. Hanna und Aslak begannen sofort, ihre Taschen auszuleeren und warfen Fulla und dem Garm ihre Mitbringsel zu. Hanna konnte nicht ausmachen, wer von ihnen die Wurst gieriger verschlang.
Fulla erzählte mit vollem Mund weiter:
»Er war ein
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