Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
anders werden würde.
Verflucht, bei den Vamalia oder den Vyrad war es doch auch kein Problem, dass reine und unreine Vampire friedlich und gleichberechtigt miteinander lebten. Warum mussten die Nosferas es ihm so schwer machen? Zugegeben, bei den Dracas in Wien hatten es die Unreinen auch nicht leicht. Sie waren Servienten ohne Rechte, die ihrem Herrn wie ein Schatten zu folgen und ihm zu dienen hatten. Doch das war kein Grund, aufzugeben. Und wenn er noch lange würde kämpfen müssen, er war bereit, sich dem Kampf zu stellen, um Clarissa nicht zu verlieren.
Natürlich konnte sie ihn nicht einfach verlassen. Sie war eine unreine Vampirin, und auch wenn es Ivy gewesen war, die ihm die Kraft gegeben hatte, sie zu wandeln, war sie sein Geschöpf, das immer mit ihm verbunden sein würde. Sie musste bei ihm bleiben und – wenn es nach seiner Familie ging – ihm dienen. Doch er wollte mehr. Er wollte ihre Liebe und ihr Vertrauen.
Die Musik war verklungen, als Luciano die Halle mit der goldenen Decke betrat. Der Künstler war nirgends zu sehen, und auch die meisten Zuhörer hatten sich bereits zerstreut. Der Conte jedoch lag noch immer auf seinem Ruhebett, umgeben von einigen Altehrwürdigen. Eigentlich stand es dem jungen Erben nicht zu, den Clanführer jetzt zu stören, doch Luciano fasste sich ein Herz und näherte sich mit einem vernehmlichen Räuspern. Conte Claudio sah auf. Ein Lächeln erhellte sein feistes Gesicht.
»Ah, Luciano, gut, dass du kommst. Ich wollte gerade nach dir schicken. Reich mir deinen Arm und hilf mir auf! Ich möchte etwas mit dir besprechen.«
Luciano versuchte, sich seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Was um alles in der Welt konnte es Wichtiges geben, das der Conte persönlich mit ihm besprechen wollte? Er fühlte ein ungutes Grummeln in seinem Magen, das ausnahmsweise nicht mit seinem Durst auf frisches Blut zu tun hatte.
Luciano trat noch einen Schritt näher und streckte den Arm aus. Der Conte ergriff seine Hand und wuchtete sich aus den bordeauxfarbenen Brokatkissen. Der Clanführer der Nosferas trug eine lindgrüne Weste und safrangelbe Pantalons. Ein kräftig blauer Rock und ein aufwändig gebundenes Halstuch mit einem Rubinanstecker vervollständigten seine Garderobe, die selbst Luciano in den Augen schmerzte. Mit zunehmender Nervosität folgte er dem Conte, der ihn in sein Gemach führte, das ebenso farbenprächtig ausgestattet war wie der Clanführer selbst.
»Setz dich«, forderte er den jungen Vampir auf und ließ seinen massigen Körper auf einen gepolsterten Stuhl fallen. Er winkte seinen Schatten heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf sich dieser dienstbeflissen davonmachte.
»Conte Claudio, darf ich Euch um eine Auskunft bitten?«, begann Luciano, ehe dieser fortfahren konnte.
Der Conte lächelte noch immer und hob auffordernd die Hand. »Bitte!«
»Darf ich erfahren, warum mein Gemach geräumt wurde? Ich nehme an, Ihr wisst davon. All meine Sachen sind verschwunden, ja selbst mein Sarg ist weg, und auch Clarissas Habseligkeiten sind nicht mehr da.«
Der Conte nickte und lächelte dabei noch breiter. »Ja, ich weiß davon, denn ich habe deinem Schatten den Auftrag erteilt.«
»Warum denn das?«
»Weil ich finde, dass du als unser Erbe und unsere Hoffnung für die Zukunft des Clans etwas Besseres verdienst. Ich habe dir ein Gemach im Ostflügel ausgesucht, das dir gefallen wird.«
Luciano sah ihn verblüfft an. »Danke«, stieß er hervor. Er wollte sich gerade von seinem Platz erheben, als der Schatten zurückkehrte und mit einer Verbeugung die junge Vampirin Giulia in das Gemach des Conte geleitete. Sie grüßte das Clanoberhaupt mit einem Knicks, warf Luciano noch einmal einen bedeutsamen Blick zu und setzte sich ihm gegenüber.
»Bleib!«, befahl der Conte mit einer gebieterischen Geste.
Luciano sank auf seinen Sitz zurück.
»Du kennst Giulia?«, erkundigte sich Conte Claudio.
»Äh, ja flüchtig. Wir hatten noch nicht viel miteinander zu tun.«
Der Conte lachte. »Das kann ich mir denken, aber aufgefallen ist sie dir sicher, unsere schöne Giulia!«
Die junge Vampirin lachte gurrend. Luciano nickte nur. Er fühlte sich so unwohl in seiner Haut, dass er am liebsten davongelaufen wäre. Noch verstand er nicht, was das alles sollte, aber es konnte nichts Gutes bedeuten.
»Ich habe mir das Gemach angesehen, Conte«, sagte Giulia mit Begeisterung in der Stimme. »Es ist wunderschön, ich danke Euch.«
»Aber nicht doch, meine Liebe«,
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