Die Erben der Schöpfung
Professionalität gewann wieder die Oberhand. »Das kann ich Ihnen versprechen, es sei denn, Sie erzählen mir, dass Sie oder jemand anders jemanden umbringen, Selbstmord begehen oder die nationale Sicherheit gefährden wollen.«
»Wann könnten Sie in Chicago sein?«
»Ich steige heute Abend am O’Hare-Flughafen um.«
»Um wie viel Uhr kommen Sie an?«
»Zwanzig nach fünf. United aus St. Louis.«
»Ich hole Sie ab.«
»Hören Sie, ich habe keine Zeit für Spielchen. Ich habe eine Stunde Aufenthalt, und in der Zeit können Sie mir Ihre Geschichte schildern – das muss reichen.«
Der Anrufer legte auf.
Susan holte tief Luft. Sicher ein Irrer. Es wäre nicht das erste Mal, dass irgendein Durchgeknallter eine Reporterin ausfindig machte, um ihr seine Lieblingsverschwörungstheorie anzuvertrauen. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass die meisten dieser Typen harmlos waren und sich oft gleich an den nächsten wandten, wenn man sie abwies. Aber immerhin hatte er sich gut auszudrücken vermocht und nicht wie ein Spinner geklungen. Und woher hatte er eigentlich ihre Handynummer?
Allerdings hatte sie ihm nicht verraten, dass sie von all den geistlosen, banalen Themen, über die sie schreiben musste, dermaßen die Nase voll hatte, dass sie am liebsten alles hingeworfen hätte. Mit dieser letzten Geschichte hatte sie einen neuen Tiefpunkt erreicht. In ihrer Eigenschaft als Korrespondentin für Gesundheit und Wissenschaft bei Associated Press hatte sie erwartet, jede Woche das intellektuelle Neuland der Stringtheorie oder der neuesten Heilmethode für Brustkrebs zu beackern. Sie hatte nicht vorgehabt, ihre Zeit damit zu verbringen, sich von einer Horde Kleinkinder vollsabbern zu lassen oder stapelweise Pressemitteilungen über Hypnose, Magnete und Naturheilkunde durchzulesen.
In Wirklichkeit war sie der Verzweiflung nahe. Nicht dass ihr Job bedroht gewesen wäre, aber ihr Ego. Mit einem Ehemann, der Vorstandsvorsitzender einer der am schnellsten wachsenden Fortune-500-Firmen war, hatte sie genug davon, als »Benthams Frau, die Reporterin« bekannt zu sein. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, musste sie zugeben, dass sie den Job bei AP nur aufgrund des Renommees ihres Mannes bekommen hatte. Sie hatte geglaubt, wenn sie seriöse Wissenschaftsthemen bearbeitete, könnte sie sich in ihrem eigenen Namen Anerkennung verdienen, doch ihr Mann behandelte ihren Job nur als schöne Beschäftigung für sie, wenn er nicht da war, was meist den ganzen Tag der Fall war.
Und nun nahm sie einen Hinweis auf Außerirdische oder so etwas ernst. Sie stieg in ihren Mietwagen und prustete los. Sie lachte, bis ihre Wimperntusche zu verlaufen und ihr Brustkorb zu schmerzen begann und alles andere an ihr wehtat, weil sie sich so nutzlos und so unglücklich fühlte.
»Ms. Archer-Bentham?« Die Stimme riss sie aus ihrem Tagtraum.
»Ja.« Sie hatte das seltsame Gespräch von ein paar Stunden zuvor schon fast vergessen gehabt, erkannte die Stimme jedoch sofort. Zu ihr gehörte ein tadellos gekleideter Geschäftsmann mit einem Lächeln und einem intelligenten, charismatischen Gesichtsausdruck.
»Ich dachte mir schon, dass Sie es sein müssen. Können wir uns unterhalten?«
»Sicher. Haben Sie Hunger?« Ihre Neugier sprang sofort an, während sie einen Schritt zur Seite machte, um sich aus dem Strom von Passagieren zu lösen, der aus dem Flugzeug quoll. Wie war er überhaupt hinter die Absperrung gekommen? Hatte er ein Ticket gekauft, nur um mit ihr sprechen zu können?
»Im Moment nicht. Ich hatte eigentlich gehofft, wir könnten uns unter vier Augen unterhalten, falls das auf diesem Flughafen möglich ist.« Er lächelte sie entschlossen an. Auf jeden Fall meinte er es ernst. Sie folgte ihm aus dem Ankunftsterminal hinaus durch die Sicherheitskontrolle und einen überfüllten Korridor entlang. Dann fuhren sie mit einer Rolltreppe nach unten und gelangten in einen breiten Flur mit leuchtend bunten Neonröhren an der Decke, durch den New-Age-Musik wallte. Eine allgegenwärtige Stimme machte über dem Laufband Durchsagen.
»Kommen Sie hier entlang«, sagte er und scherte aus der in alle Richtungen drängenden Menschenmasse aus, um sich an die Wand zu lehnen. Sie trat neben ihn.
»Mein Name ist Nathan Hall. Ich bin Investment-Banker und habe mich auf Börsenkapitalisierung und Investment-Management von biopharmazeutischen Firmen spezialisiert. Neben einem offenen Investmentfonds mittlerer Größe betreibe ich eine Investment-Beratungsfirma.
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