Die Erben der Schwarzen Flagge
mahnte Nick seine Kameraden. »Vergesst nicht, wir sind harmlose Fischer. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Was immer du sagst«, erwiderte Jim, während er wieselflink den Mast herabkletterte. »Ich frage mich allerdings, ob diese Mateys uns das auch glauben werden.«
Die Frage war nur zu begründet; das kleinere der beiden Schiffe hatte beigedreht und änderte seinen Kurs, hielt jetzt genau auf die Ketsch zu. Die Großsegel der Brigantine waren gerefft, damit sie in den seichten Küstengewässern leichter zu navigieren war. Dennoch machte das Schiff ansehnliche Fahrt und ging auf direkten Abfangkurs.
Nicks Kameraden bedachten ihren Kapitän mit gespannten Blicken, während er in aller Eile ihre Möglichkeiten überschlug. Die Ketsch hatte keine Chance, der Brigantine zu entkommen, es sei denn, die Bukaniere nahmen die Ruder zur Hand und ergriffen Hals über Kopf die Flucht. Dadurch allerdings würden sie sich erst recht verraten. Im Grunde blieb ihnen nichts anderes übrig, als auf das alte Sprichwort zu setzen, demzufolge Frechheit siegte.
»Warten wir ab, was sie wollen«, sagte Nick und bemühte sich, Gelassenheit zu demonstrieren. Seine Kameraden beruhigten sich daraufhin ein wenig, nur Pater O’Rorke wirkte angespannt.
Während die Fregatte im Hintergrund blieb, hielt die Brigantine auf das Fischerboot zu. Je mehr der Bugspriet vor den Bukanieren in die Höhe wuchs, desto bedrohlicher wirkte das Schiff, auf dessen Deck Nick rege Betriebsamkeit ausmachen konnte. Seeleute und Soldaten eilten auf ihre Posten, offenbar war Deckalarm gegeben worden. Allem Anschein nach befanden sich die beiden Schiffe in der Windward-Passage auf Piratenjagd undhatten strikte Order, alles in Augenschein zu nehmen, was ihnen vor den Bug kam – selbst wenn es sich nur um ein harmloses Fischerboot handelte. Schließlich kam es nicht selten vor, dass Fischer von den Inseln ihre kargen Einkünfte dadurch aufbesserten, dass sie den Piraten als Spitzel dienten …
»Das gefällt mir nicht«, murmelte Pater O’Rorke in seltener Nervosität. »Das gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Ruhig, Pater«, beschwichtigte Nick. »Wo ist Euer Vertrauen in den Herrn geblieben?«
»Vertrauen ist gut, aber Flucht wäre in diesem Fall noch besser.«
»Wenn wir fliehen, verraten wir uns, und mit ihren Kanonen können sie uns in tausend Stücke schießen«, gab Nick zu bedenken. »Nein, Mateys – wir bleiben dabei, dass wir harmlose Fischer sind. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht.«
»Und wenn Engländer nicht wollen glauben?«, fragte Unquatl.
»Dann werden wir kämpfen«, erwiderte Jim heißblütig und schielte nach den Waffen im Bug.
»Fünf Mann gegen die Besatzungen zweier Kriegsschiffe, ist das dein Ernst?« Nick hob die Brauen. »Und mir wirfst du vor, mein Leben wegwerfen zu wollen.«
»Hast du eine bessere Idee?«
»Ich denke schon«, gab Nick halblaut zurück. »Still jetzt, sie sind in Rufweite …«
Innerhalb weniger Augenblicke hatte die Brigantine die Ketsch erreicht und ging längsseits; ihre Bugwelle brachte das Fischerboot heftig ins Schwanken. Eingeschüchtert blickten die Bukaniere am wulstigen Schanzkleid des Schiffes empor. Noch waren die Stückpforten geschlossen, aber Nick war sicher, dass die Mannschaften an den Geschützen lauerten und nur darauf warteten, ein Zielschießen zu veranstalten …
»Ahoi, Fischerboot!«, rief eine Stimme von achtern herab. Nick sah eine Gestalt im roten Rock an der Achterreling stehen, allem Anschein nach der Erste Offizier. »Ergebt euch, und wir schonen euer Leben. Versucht zu fliehen, und ihr seid des Todes!«
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, ließ er die Drehbasse auf dem Schanzkleid ausschwenken und auf die Ketsch richten. Die Lunte hing zündfertig aus dem Ende des Rohres, ein Soldat stand mit brennender Fackel neben dem Bordgeschütz parat. Nick verspürte kein Verlangen, von einer Schrotladung zerfetzt zu werden, also hob er bereitwillig die Arme.
»Nicht schießen«, rief er laut, »wir ergeben uns! Wir sind harmlose Fischer und tun niemandem etwas zuleide!«
»Harmlose Fischer?«, tönte es zurück. »Ein Gelber, ein Schwarzer und eine verdammte Rothaut?«
Nick seufzte. Er hatte darauf bestanden, dass Pater O’Rorke sein Ordensgewand ablegte und der Tarnung wegen in schlichte Fischerkleidung schlüpfte – gegen die Hautfarbe seiner Freunde freilich hatte er nichts unternehmen können. Gemeinsam waren sie so auffällig wie eine Meute bunter
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