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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Hunde.
    »Kommt an Bord«, forderte der Lieutenant, während bereits eine Leiter herabgelassen wurde – keine Stiegen freilich, wie Offiziere sie benutzten, sondern nur ein dickes Seil mit Knoten darin. »Klettert herauf, einer nach dem anderen und ganz langsam. Macht ihr auch nur eine falsche Bewegung, wird es mir ein Vergnügen sein, den Feuerbefehl zu erteilen.«
    »Schon gut«, beschwichtigte Nick und wandte sich seinen Kameraden zu. »Ihr habt es gehört, Freunde – die britische Marine hat uns soeben eingeladen, auf eines ihrer Schiffe zu kommen. Ist das nicht überaus freundlich?«
    »Kaum«, erwiderte Pater O’Rorke bitter. »Die Briten werdenuns nie und nimmer abnehmen, dass wir Fischer sind. Sie werden die Waffen finden und deine Verwundung entdecken. Und sie werden viele unangenehme Fragen stellen.«
    »Sollen sie«, konterte Nick gelassen. »Dann werden wir ihnen ebenso viele Antworten geben.«
    »In der Tat. Und was willst du ihnen sagen?«
    »Die Wahrheit natürlich.«
    »Du willst ihnen die Wahrheit sagen?« Jim schnappte nach Luft. »Bist du verrückt geworden? Besser, wir erschießen uns auf der Stelle und werfen uns selbst den Haien zum Fraß vor, als den Briten zu sagen, wer wir sind und woher wir kommen.«
    »Von dieser Wahrheit spreche ich nicht.« Nick schüttelte den Kopf. »Ich meine die Wahrheit über meine Herkunft, versteht ihr?«
    »Die Wahrheit über …?« Die Besorgnis in der Miene des Afrikaners löste sich in ein breites Grinsen auf. »Ich denke schon, dass ich verstehe.«
    »Für Bukaniere und Seeräuber haben die Briten in der Tat nicht sehr viel übrig«, raunte Nick seinen Freunden zu, ehe er nach dem Seil griff und sich daran emporzog. »Aber ihr alle vergesst, dass ich kein Pirat bin, sondern der Sohn eines waschechten britischen Edelmanns.«
    »Du willst dich also endlich zu deinem Erbe bekennen?«, fragte Pater O’Rorke.
    »Vor allem will ich nicht am Galgen enden, und ich habe auch nicht vor, in einem verdammten Käfig zu verrotten«, gab Nick zurück. »Wenn ich jemals vorhatte, den Namen Nicolas Graydon anzunehmen, dann ist jetzt der rechte Zeitpunkt dafür gekommen …«

3.
    B is zu dem Augenblick, in dem Elena de Navarro auf Jamaica eintraf, hatte sie Cayenne für das schäbigste, elendste und ärmlichste Fleckchen Erde gehalten, das es auf dieser Welt geben konnte. Dies änderte sich, als die Leviathan am Morgen des 22. Mai 1692 in den Hafen von Port Royal einlief.
    Schon von weitem konnte man erkennen, dass die Stadt, die sich um die sichelförmige Bucht schmiegte, ihren vornehmen Namen nicht verdiente. Fachwerkhäuser im englischen Stil, an denen der Zahn der Zeit merklich genagt hatte, säumten das Ufer, dazwischen erstreckten sich schäbige Bretterbuden. Und überall, wohin Elena auch blickte, sah sie Schmutz und zügelloses Laster; Betrunkene lagen herum und schliefen ihre Räusche aus, Ratten tummelten sich an den schmutzübersäten Stegen, ohne dass jemand sich darum scherte. Aus den Tavernen war selbst zu dieser frühen Stunde Musik zu hören, und in den Eingängen der Bordelle standen Dirnen und priesen ihre Reize an.
    Auf dem Platz vor der Kirche, die so verwaist aussah, als wäre sie seit Jahren nicht betreten worden (und das entsprach wohl auch den Gegebenheiten), wurde ein eigentümlicher Markt abgehalten, bei dem nicht Proviant und Waren, sondern ganz andere Dinge zum Verkauf geboten wurden: Weine aus Spanien und Garne aus England, Gold aus den Kolonien und Waffen aus französischen Beständen – kurzum alles, was die Piraten auf ihren Raubzügen zusammengerafft und wofür sie selbst keine Verwendung hatten. Auf einem Podium in der Mitte des Platzes wurden zudem junge Frauen zum Kauf angeboten – eingeborene Mädchen zumeist, die nicht einen Fetzen Stoff am Leibe trugen und denen das Elend ihres Schicksals deutlich anzusehen war. Einfettbäuchiger Händler verschacherte sie an den geifernden Haufen, der um das Podest versammelt war und mit grinsenden Mienen um die Wette bot.
    Und als wäre das alles noch nicht genug Schmutz und Laster, gewahrte Elena entlang des Kais hohe Stangen, auf denen schreckliche Trophäen prangten: die Köpfe von Menschen. An einigen von ihnen hatten sich die Möwen bereits gütlich getan, sodass wenig mehr als der blanke Schädel zu sehen war, andere boten im Stadium fortgeschrittenen Verfalls einen scheußlichen Anblick. Und wieder andere waren noch gut genug erhalten, um wiedererkannt zu werden.
    »Capitán Almaro!«, rief

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