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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Anbetracht der Anspannung, unter der sie alle standen, griff jeder von ihnen dankbar nach der Gelegenheit, einen unbeschwerten Augenblick zu erhaschen.
    Weder Nick noch seine Kameraden gaben sich Illusionen hin, was ihre Chancen betraf. Die Wahrscheinlichkeit, dass es ihnen tatsächlich gelang, sich in Bricassarts Festung zu schleichen, war äußerst gering, und selbst wenn sie es schafften, war völlig offen, wie sie von dort wieder entkommen sollten. Von Elenas Befreiung ganz zu schweigen.
    Während die Ketsch träge durch die Wellen schnitt, sann Nick fieberhaft nach einem Plan. Er stellte dem Chinesen unzählige Fragen und ließ sich von ihm einen Grundriss der Festung skizzieren, aber es wollte ihm dazu nichts Rechtes einfallen. In Navarros Festung zu gelangen, war ein Kinderspiel gewesen im Vergleich zudiesem Vorhaben – nicht von ungefähr war das Bollwerk, das der alte Henry Morgan hatte bauen lassen, weithin berüchtigt.
    In sternförmiger Anordnung überragten die Mauern der Zitadelle die Bucht von Port Royal. Jeder einzelne Zacken des Sterns war mit einem Dutzend schwerer Geschütze bestückt. Dazu bemannten unzählige, schwer bewaffnete Posten die Wehrgänge, und es gab nur ein einziges Tor, das streng bewacht wurde. Wie der Chinese unter heftigem Gestikulieren berichtete, hatte Bricassart die hässliche Marotte, die Körper getöteter Feinde nach britischer Sitte in Käfige zu stecken und in der Sonne verrotten zu lassen. Weder Nick noch seine Leute verspürten ein Verlangen, auf solch grässliche Weise zu enden – aber genau dies wäre ihr Schicksal, wenn sie entdeckt würden.
    Trotz der drohenden Gefahren versuchte Nick nicht mehr, seinen Kameraden auszureden, ihn nach Port Royal zu begleiten. Er hatte seine Lektion gelernt und begriffen, was sie von ihm erwarteten. Jim und die anderen wollten einen Anführer, dem sie folgen und zu dem sie aufblicken konnten. Nick bezweifelte, dass er diese Ehre verdiente, aber wenn es das war, was seine Freunde verlangten, so würde er sein Bestes geben, sie nicht noch einmal zu enttäuschen. Und zum ersten Mal fühlte er sich dabei dem Mann verbunden, der nach Pater O’Rorkes Überzeugung sein leiblicher Vater gewesen war.
    Lord Clifford Graydon.
    Der Gedanke, vornehmer Abstammung zu sein, erschreckte Nick nicht mehr wie noch zu Beginn, und er gewöhnte sich allmählich daran, dass seine Freunde in ihm ihr Oberhaupt sahen. Anfangs war es reine Abenteuerlust gewesen, die ihn dazu getrieben hatte, das Kommando über die Bukaniere zu übernehmen – inzwischen war es ungleich mehr. Nick fühlte sich für seine Kameraden verantwortlich – wie auch für Doña Elena.
    Seinetwegen hatte sie ihr schützendes Heim in Maracaibo verlassen müssen, und nur seinetwegen war sie in Bricassarts zweifelhafte Gesellschaft geraten. Nick musste zumindest den Versuch unternehmen, sie zu befreien; andernfalls wäre er genau das, was sie ihm vorgeworfen hatte: ein gemeiner Dieb und Halsabschneider, der sich an wehrlosen Opfern vergriff und weder Anstand noch Ehre besaß.
    Es war Abend geworden. Die Sonne war im Westen herabgestiegen und dabei, den rosafarbenen Himmel in Brand zu setzen, als Nobody Jim auf der Rah einen warnenden Ruf ausstieß. Nick, der in Gedanken versunken gewesen war, blickte auf.
    »Was gibt es?«
    »Zwei Schiffe voraus«, antwortete Jim überflüssigerweise – denn Nick konnte die beiden Segler jetzt selbst sehen, die in der hereinbrechenden Dämmerung um die Klippen der Insel kamen und einen eindrucksvollen Anblick boten.
    Das größere der beiden Schiffe war ein reines Kriegsschiff – eine Fregatte mit drei rahgetakelten Masten, deren zahlreiche Stückpforten auf schwere Bewaffnung schließen ließen. Das andere Schiff, das die Backbordflanke der Fregatte sicherte, war eine Brigantine mit leichtem Aufbau und Bewaffnung. Über beiden flatterte das rote St.-Georgs-Kreuz im Abendwind.
    »Briten«, stellte Nick fest. »Was, in aller Welt, treiben sie so weit nördlich von Barbados?«
    »Trotz des Krieges gegen Frankreich versucht die britische Krone, ihre Position in den Kolonien zu festigen«, erklärte Pater O’Rorke. »Port Royal und New Providence sind bereits an Piraten verloren gegangen, und es ist kaum anzunehmen, dass die Briten auch noch den Rest ihrer westindischen Häfen verlieren wollen. O Herr, warum nur musst du gerade sie zu uns schicken?Die königliche Marine hat nichts übrig für Seeräuber, das ist allgemein bekannt.«
    »Ruhig bleiben«,

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