Die Erben der Schwarzen Flagge
verstehen?«
»Ich bin sicher, dass Ihr Euer Einverständnis noch geben werdet, werter Graf. Ebenso, wie ich gewiss bin, dass Ihr meinen Truppen den Zugang zu Eurem Hafen nicht verwehren werdet.«
»Dann seid Ihr entweder ein Narr, Bricassart, oder dem Wahnsinn verfallen, denn ich werde niemals …«
Navarro unterbrach sich, als plötzlich ein dumpfes Geräusch zu hören war, das von der hohen Decke widerhallte.
Trommelschläge.
Erst jetzt fiel dem Conde auf, dass die Musik längst ausgesetzt hatte und die Tänzerinnen reglos dastanden – und dass sich aller Augen auf ihn und Bricassart gerichtet hatten.
»Was hat das zu bedeuten?«, erkundigte sich der Graf, während wachsende Furcht ihm die Kehle zuzuschnüren drohte.
Unversehens kam hinter dem kissenbesetzten Thron, auf den Bricassart seine Leibesfülle gebettet hatte, eine kleinwüchsige Gestalt hervor. Es war ein dunkelhäutiger Mann, dessen Alter unmöglich zu bestimmen war. Er war mager bis auf die Knochen und von geringem Wuchs, seine einzige Kleidung war ein Lendenschurz. Auf seinem Haupt thronte ein ungeheurer Putz, der sich aus Pfauenfedern und Büscheln von schwarzem Rosshaar zusammensetzte. Beides gruppierte sich um einen bizarren Schrumpfkopf, der über der Stirn des Wilden prangte. Der Schamane wechselte mit Bricassart einige Worte in einer fremden Sprache, undplötzlich hielt der kleine Mann eine aus Wachs gefertigte Puppe in seinen Händen. Navarro wollte spöttisch auflachen und fragen, ob Bricassart ihn mit wertlosem Kindertand erschrecken wolle, als er bemerkte, dass die Puppe ihm in gewisser Weise ähnlich sah. Wie er hatte sie langes, bis auf die Schultern reichendes Haar, und wie er war sie in einen dunkelgrünen Samtrock mit goldenen Borten gekleidet.
»Was hat das zu bedeuten?«, erkundigte sich Navarro – die Ähnlichkeit zwischen der Puppe und ihm jagte ihm eine Heidenangst ein.
»Nichts weiter«, versicherte Bricassart ungerührt. »Dies ist nur eine der vielen Methoden, die mir zur Verfügung stehen, um widerspenstige Verhandlungspartner gefügig zu machen.«
Er nickte dem Schamanen zu, und dieser hielt plötzlich eine lange Nadel in der Hand – die er grinsend in die Puppe bohrte.
Carlos de Navarro war wie vom Donner gerührt.
Schmerz, der so heftig war, als werde ihm die Klinge eines Rapiers zwischen die Rippen gestoßen, flutete durch seinen Körper und ließ ihn jäh aufschreien. Seine Leute, die nicht erkennen konnten, dass ihrem Anführer Gewalt angetan wurde, wussten nicht, was sein Geschrei zu bedeuten hatte, und blickten ihn nur zweifelnd an.
»H-helft mir, ihr Dummköpfe«, stieß Navarro zwischen gefletschten Zähnen hervor, »unternehmt gefälligst etwas« – ehe er erneut einen gellenden Schrei ausstieß. Der Schamane hatte die Nadel herausgezogen und in den Rücken der Puppe gerammt.
Navarro kippte vornüber auf den Tisch, keuchend und winselnd. Seine Hände versuchten die Klinge zu greifen, die er in seinem Rücken wähnte – aber da war freilich nichts. Nur der dunkle Zauber, der von der kleinen Puppe ausging, die der Schamane genüsslich malträtierte.
Jetzt begriffen auch Navarros Mannen, was die Stunde geschlagen hatte. Abrupt sprangen sie auf, um dem Grafen zu Hilfe zu eilen – aber sie hatten die Rechnung ohne Bricassarts Leute gemacht. Auf einen Fingerzeig ihres Anführers hin zuckten die Klingen der Piraten vor und durchbohrten die Offiziere. Blutüberströmt sanken die Spanier unter die Tafel, an der sie eben noch festlich diniert hatten – und Navarro erkannte, dass er seinem Verbündeten schutzlos ausgeliefert war.
»Gnade«, flehte er – aber weder der Commodore noch sein heidnischer Helfer dachten daran, ihn schon aus der Folter zu entlassen. Mehrmals hintereinander stach der Schamane in die Puppe, rührte die Nadel in den Einstichen herum, bis Navarro das Gefühl hatte, seine Eingeweide würden mit glühenden Eisen durchwühlt.
Schreiend wälzte er sich über den Tisch, über Becher, Krüge und Teller. Seine Stimme überschlug sich, während er wahre Höllenqualen litt und der Schamane ihm weiter zusetzte. Um sein grausames Werk zu krönen, hielt der Voodoo-Mann die Puppe schließlich über eine brennende Fackel, sodass das Wachs zu schmelzen begann. Navarros Geschrei ging in ein lang gezogenes Heulen über, das kaum noch menschlich klang. Kreischend kroch der Graf über den Boden, direkt vor Bricassarts Füße – und mit einer großmütigen Handbewegung erteilte das Oberhaupt der
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