Die Erben der Schwarzen Flagge
geblickt.
Elena konnte nicht anders, als einen entsetzten Schrei auszustoßen, was den Hofstaat des Feisten – schäbige, schmutzige Gestalten mit ausgezehrten Gesichtszügen und leeren Blicken – dazu bewog, in lautes Gelächter zu verfallen. Auch ihr Anführerlachte und entblößte dabei seine zugespitzten Zähne, die an jene eines Haifischs erinnerten.
In ihrem Entsetzen schlug die Grafentochter die Hände vors Gesicht, worauf sich das Lachen nur noch steigerte. Auch Damian Bricassart fiel in das Gelächter ein. Elena wich zurück und blickte sich Hilfe suchend um. Aber wohin ihr Blick auch fiel, sah sie nichts als ausdruckslose, geistlos blökende Mienen. Endlich hob der Mann auf dem Podium die Hand, und das Geschrei verstummte augenblicklich.
»Darf ich vorstellen, Doña Elena?«, fragte Damian in die eintretende Stille. »Dies ist der Commodore Bricassart – mein Vater und der Anführer unserer Bruderschaft.«
»Euer Vater?« Elenas entsetzter Blick flog zwischen dem Feisten und seinem Sprössling hin und her. »Fürwahr, der Apfel pflegt nicht weit vom Stamm zu fallen.«
»Sie hat esprit, das muss man ihr lassen«, ließ sich der alte Bricassart vernehmen, mit einer Stimme von solcher Tiefe und Kälte, dass Elena schauderte. »Und sie ist ein schönes Kind, n’est-ce pas ?«
»Das ist sie«, bestätigte Damian grinsend. »Kaum hatte ich sie an Bord der Leviathan, bin ich auch schon in feuriger Liebe zu ihr entbrannt.«
Die Piraten lachten erneut, und Elena wusste nicht, worüber sie mehr entsetzt sein sollte: darüber, dass ihr Befreier noch längst nicht das größte Übel war, sondern von seinem Vater noch um ein Vielfaches übertroffen wurde; oder darüber, dass sie an einen Ort geraten war, an dem das Böse regierte. Wenn die Idylle Maracaibos ihr wie das Paradies auf Erden erschienen war, so war dies hier die Hölle …
»Seid mir herzlich willkommen, Doña Elena«, tönte der Fleischberg. »Ich bin sicher, Ihr werdet Euch bald wie zu Hause fühlen. Eure Gefangenschaft ist zu Ende, betrachtet Euch alsmeinen Gast. Es wird mir ein Vergnügen sein, dafür zu sorgen, dass es Euch hier an nichts fehlen wird.«
»I-ich bin Euer Gast?«
»Gewiss. Hat Euch Damian nicht gesagt, in wessen Auftrag er Euch befreite? Dann macht Euch auf eine Überraschung gefasst, meine Teure, denn hier ist jemand, der Euch freudig in die Arme schließen möchte.«
Und aus dem Schatten seiner aufgedunsenen, massigen Gestalt trat ein Mann, dem an diesem Ort zu begegnen Elena gleichermaßen bestürzte wie erleichterte. Es war ihr Vater, Carlos de Navarro, der Conde von Maracaibo.
»Vater!«
Schluchzend fiel Elena dem Grafen um den Hals, vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, wie sie es als Kind getan hatte, wenn sie an die Grenzen ihrer kleinen Welt gestoßen war. Gewöhnlich hatte ihr Vater sie dann in die Arme geschlossen und ihr tröstend ins Ohr geflüstert, dass er sie beschützen und die Zeit alle Wunden heilen würde.
Diesmal jedoch schwieg der Conde, und es dauerte einige Augenblicke, bis Elena bemerkte, dass er auch ihre Umarmung nicht erwiderte. Endlich löste sie sich von ihm und wischte die Tränen weg, die ihr in die Augen getreten waren.
»Was ist mit dir, Vater?«, fragte sie. »Freust du dich nicht, mich zu sehen?«
»Natürlich freue ich mich, mein Kind«, erwiderte der Conde, aber seine Stimme blieb dabei unbewegt, und seine Augen blickten nicht weniger starr und ausdruckslos als jene der Piraten. Statt Elena zu fragen, wie es ihr ergangen war, wandte er sich an den jungen Bricassart.
»Wo ist Nick Flanagans Kopf?«, wollte er wissen. »Hatte ich nicht ausdrücklich gesagt, dass ich ihn als Dreingabe wünsche?«
»Das habt Ihr, Monsieur«, gestand der junge Kapitän bereitwillig, »und ich war kurz davor, Euren Wunsch zu erfüllen. Bedauerlicherweise kam ich nicht mehr dazu, denn Flanagans Freunde tauchten auf, und wir mussten uns zurückziehen. Aber ich habe ihm eine Kugel gegeben, die er kaum überlebt hat. Flanagan hat viel Blut verloren, und was das in der sengenden Hitze Tortugas bedeutet, brauche ich Euch wohl nicht zu sagen.«
»Hm«, machte der Conde in einer Mischung aus Bedauern und Missbilligung, und damit schien die Sache für ihn erledigt zu sein.
»Es ist also wahr, Vater?«, fragte Elena, die es noch immer nicht wahrhaben wollte. »Du hast gemeinsame Sache mit diesen Leuten gemacht? Du hast dich mit Piraten verbündet, um mich zu retten?«
»Wie du siehst.«
»Wie konntest du
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