Die Erben der Schwarzen Flagge
überstehen. Du musst am Leben bleiben, Elena – für mich …«
»Nein!«, rief sie entsetzt. »Ich will nicht leben ohne dich,Nick. Meinen Vater habe ich bereits verloren, ich will dich nicht auch noch verlieren …«
In einem unerwarteten Kraftausbruch, auf den ihre Bewacher nicht gefasst waren, gelang es ihr, sich loszureißen und zu Nick zu eilen, der sie in die Arme schloss. Ihre Lippen begegneten sich zu einem flüchtigen Kuss.
»Geh, Elena«, redete Nick ihr zu. »Ich bitte dich.«
»Nein, Nick. Lieber sterbe ich hier und jetzt, als auch nur einen Augenblick länger in der Gesellschaft Bricassarts und seines verkommenen Sprosses zu verbringen.«
»So nennst du mich also?«
Auf der gegenüberliegenden Seite des Kreises erschien Damian Bricassart, der von der gekaperten Prosecutor an Land übergesetzt hatte. Nick spürte, wie sein Blut in Wallung geriet, als er sich dem Mann gegenübersah, der ihn in jener Nacht auf Tortuga kaltblütig über den Haufen geschossen hatte. Allem Anschein nach hatten sich Bricassarts Manieren nicht gebessert – sein bleiches Gesicht war vom getrockneten Blut derer besudelt, die er im Kampf getötet hatte.
»So siehst du mich, nicht wahr?«, fragte Damian laut. »In deinen Augen bin ich nichts als Abschaum. Dabei hätte ich dich wirklich geliebt.«
»Geliebt?« Elena schüttelte den Kopf. »O nein, Damian. Ihr wisst nicht einmal, was dieses Wort bedeutet. Ihr seid ein ebenso grausames und gefühlloses Monstrum wie Euer Vater. Ich könnte Euch weder lieben noch respektieren, dafür verachte ich Euch viel zu sehr.«
»Du spuckst große Töne, nun, da dein Liebhaber aus dem Jenseits zurückgekehrt ist. Willkommen unter den Lebenden, Flanagan.«
»Danke«, erwiderte Nick tonlos.
»Seltsam, n’est-ce pas? Keiner von uns hätte geglaubt, den anderen wiederzusehen, doch nun stehen wir uns erneut als Feinde gegenüber – und Ihr werdet ein weiteres Mal verlieren.«
Nick schwieg zähneknirschend. Sein Innerstes empörte sich dagegen, den Schurken triumphieren zu sehen, aber was sollte er tun? Am liebsten hätte er sich mit blanker Klinge auf ihn gestürzt, aber die zahllosen Musketenmündungen, die auf ihn starrten, hätten seinem Vorhaben ein Ende gesetzt, ehe er seinen Gegner auch nur erreicht hätte.
»Kaum zu glauben«, meinte Damian spöttisch. »Du ziehst mir also diesen Versager da vor?«
»Das tue ich«, bestätigte Elena. »Meine Entscheidung steht fest.«
»Undankbare spanische Hure!« Der junge Pirat spuckte aus. »So dankst du mir, was ich für dich getan habe?«
»Ihr habt nicht das Geringste für mich getan. In Nicks Beisein zu sterben, wird für mich angenehmer sein, als in Eurer Gesellschaft zu leben. Eure Gegenwart ist mir unerträglich.«
Ein gellender Wutschrei war die Reaktion. Zornesröte, die die Blutspritzer in seinem Gesicht fast verblassen ließ, färbte Damians Züge, während er heulte wie ein Wolf.
»Genugtuung!«, brüllte er aus Leibeskräften. »Vater, ich verlange Genugtuung für diese Schmach!«
»Was willst du tun, Sohn?«, erkundigte sich der alte Pirat, der dem Wortgefecht belustigt beigewohnt hatte.
»Ich will gegen Flanagan kämpfen. Hier und jetzt. Ich will ihn mit dem Stahl durchbohren und ihm vor den Augen seiner Hure die Eingeweide aufschlitzen. Das ist es, was ich will.«
»Ihr wollt gegen mich kämpfen?«, fragte Nick. »Wozu? Um mich noch einmal feige niederzuschießen?«
»Geschwätz!« Damian machte eine verächtlicheHandbewegung. »Ich brauche keine Pistole, um Euch zu besiegen. Selbst mit bloßen Händen könnte ich Euch das Herz aus der Brust reißen.«
»Ihm vielleicht«, gestand Scarborough ihm zu, »aber nicht mir! Komm her, Bube, und ich werde dich aufspießen wie ein Schwein.«
»Du lohnst die Mühe nicht, Engländer«, beschied ihm Damian. »Aber wenn ich Flanagan vor den Augen seiner Geliebten töte, wird sie wissen, dass sie sich für den Falschen entschieden hat. Nur darum geht es mir.«
»Hm«, machte der alte Bricassart auf seiner Sänfte. »Nach all dem Hauen und Stechen wäre ein ehrliches Duell eine willkommene Abwechslung. Ich bin es leid, dabei zuzusehen, wie Männer einander massakrieren. Fühlst du dich Flanagan gewachsen, Damian?«
»Soll das ein Scherz sein, Vater? Ich könnte ihn mit verbundenen Augen besiegen.«
»Sei dir da nicht so sicher, du überheblicher Bastard«, rief Nick.
»Wie ich sehen kann, ist Euer Feuer noch nicht erloschen, junger Master Graydon«, stellte der alte
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