Die Erben der Schwarzen Flagge
vernichtend in die Reihen des Feindes. Erneut zeigten die Piraten keine Reaktion. Mit unbewegten Mienen, den Blick in weite Ferne gerichtet, stapften die Piraten den Angreifern entgegen. Ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Ende hatte etwas Erschreckendes, ebenso wie ihre ungelenke Art, sich zu bewegen – und obwohl Scarboroughs Männer Dutzende von ihnen töteten, waren es nicht die Gesichter der Piraten, sondern die der Briten, auf denen sich Panik zeigte.
»Das sind keine Menschen«, rief jemand. »Es sind Geister! Die Geister erschlagener Seeleute! Man kann sie nicht besiegen …«
Scarborough bemerkte die Hysterie, die unter seinen Leuten um sich griff. Schon wandten sich die Ersten zur Flucht, und widerstrebend erinnerte sich der Captain an Nick Flanagans Worte. Er musste den Männern Mut machen und ihnen ein Beispiel sein, ihnen klar machen, dass es nichts gab, wovor sie sich fürchten mussten – auch wenn das dreist gelogen war …
»Bleibt hier, ihr Memmen!«, rief er ihnen zu. »Das sind keine Geister, sondern Wesen aus Fleisch und Blut! Man kann sie töten, also sind sie sterblich …«
Um seine Worte zu beweisen, stürmte er vor und fällte einen angreifenden Piraten, der viel zu schwerfällig war, um auf die wütende Attacke zu reagieren. Blutüberströmt sank der Mann nieder, und von ihrem Anführer ermutigt, stellten sich die Engländer dem Feind.
Die beiden Haufen prallten aufeinander. Bittere Verzweiflung traf auf Unerschrockenheit, und nicht wenige Kämpfer ließen Gliedmaßen oder gar ihr Leben in dem blutigen Scharmützel, das nun folgte. Scarborough selbst kämpfte in vorderster Reihe mit einem Mut, der ihn selbst überraschte. Seine Klinge ging aufund nieder und schlug tiefe Breschen in die Reihen des Feindes, der sich dadurch aber nicht aufhalten ließ; wie hoch der Blutzoll auch war, den die Piraten entrichteten, und wie unterlegen sie im Nahkampf auch sein mochten – sie erstickten die Wucht des Angriffs mit ihrer schieren Anzahl.
Unablässig kamen weitere Kämpfer die Straße herab, und alle trugen denselben ausdruckslosen Blick zur Schau. Es war, als hätte etwas den Männern ihre natürliche Furcht genommen – etwas, das noch schrecklicher war als die Angst davor, im Kampf getötet oder verstümmelt zu werden. Scarborough hingegen focht mit dem Mut der Verzweiflung. Erneut streckte er einen Gegner nieder, ein weiterer lief genau in seine Klinge. Aber gleichzeitig musste der Captain auch erkennen, dass sich die Reihen seiner Leute mehr und mehr lichteten.
Die meisten der Maate und Unterführer, die mit ihm in vorderster Reihe gekämpft hatten, waren bereits gefallen, ihre Haufen schlugen orientierungslos nach allen Seiten zu. Obwohl die Engländer alles daransetzten, als Sieger aus dem Kampf hervorzugehen, wurde es ihnen durch die Masse des Feindes unmöglich gemacht. Beklommen sah Scarborough seinen Segelmeister niedersinken, einen Enterhaken in der Brust; ein junger Fähnrich starb mit durchbohrtem Herzen. Blut und Schreie überall, dazu das Geklirr von Waffen – dass der Kanonendonner ausgesetzt hatte, nahm der Captain nicht einmal wahr.
Der Gedanke, dass es sein verblendeter Ehrgeiz gewesen war, der ihn in diese Lage gebracht hatte und nun seine Leute das Leben kostete, dämmerte ihm mit hässlicher Gewissheit. Sein Blick glitt zurück zum Pier, wo die Barkassen lagen, aber die Piraten hatten sie eingekreist, sodass es kein Zurück mehr gab – und Scarborough begriff, dass er den Kampf verlieren würde …Von den Festungsmauern aus verfolgten Nick und seine Gefährten das Gemetzel auf dem Marktplatz.
Nachdem sie sich seinen Leuten ergeben hatten, hatte Bricassart sie entwaffnen und abführen lassen. Man hatte sie auf die Westmauer geführt, von wo aus sie dem traurigen Schauspiel beiwohnen sollten. So sahen Nick und die Seinen, wie Scarboroughs Einheit auf das Heer von Bricassarts Untoten traf und wie die tapferen Briten einen Mann nach dem anderen verloren im Kampf gegen den Feind, in dessen Adern das Gift des Schamanen floss.
Es war ein ungleiches Aufeinandertreffen; Scarboroughs Leute hatten keine Chance gegen den zahlenmäßig weit überlegenen Gegner, der weniger gut kämpfen mochte, dies aber durch seine Zahl und Unerschrockenheit mehr als aufwog. Gellende Schreie drangen bis zur Festung herauf, und im Licht des flackernden Feuers wurden Nick und seine Gefährten Zeugen des Untergangs. Die Briten kämpften mit bemerkenswerter Tapferkeit, aber ihre Attacken
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