Die Erben der Schwarzen Flagge
begonnen hatte.
Unvermittelt endete die Bahn, und mitsamt dem Geröll, das sie auf ihrer Rutschpartie begleitet hatte, wurden sie hinauskatapultiert in die Schwärze der Nacht.
Mit rudernden Armen purzelten sie durch die Luft und konnten den Boden unter sich nicht einmal mehr erkennen. Schon fürchtete Nick, ein schroffer Felsen könnte ihrer Flucht ein jähes Ende setzen, als sie auch schon aufschlugen – inmitten eines sumpfigen Pfuhls, der mit zähflüssigem, stinkendem Wasser gefüllt war, das sie mit einem Gurgeln verschlang.
»Verdammt«, wetterte Nobody Jim, als er prustend auftauchte, »war das eine Schlittenfahrt. So hatte ich mir unsere Flucht eigentlich nicht vorgestellt.«
»Ich auch nicht«, gab Nick zu, während er sich bäuchlings an Land schleppte, über und über mit zähem Schlamm bedeckt. »Aber das Zeug hat einen Vorteil – es stinkt so erbärmlich, dass die Hunde uns nicht mehr wittern können.«
»Meinst du?«
»Allerdings«, bejahte Nick, und beide krochen sie aufs Trockene, blickten an der steilen Klippe empor, von der sie so rasant wie unverhofft abgestiegen waren.
Von den Hunden war nur noch ein fernes Jaulen zu hören, und durch das Dickicht der Bäume schimmerte hier und dort der fahle Lichtschein von Fackeln. In einem Anflug zaghafter Zuversicht lächelten die beiden Freunde. Dann setzten sie ihre Flucht fort, langsamer diesmal und wieder aufrecht gehend. Inmitten eines Gewirrs von Lianen und Schlinggewächsen suchten sie sicheinen Weg durch die Dunkelheit, darauf bedacht, auf dem Trockenen zu bleiben und nicht in eines der zahllosen Sumpflöcher zu fallen, die den Boden durchsetzten.
Gedämpft war das Rauschen der Brandung zu hören, die gegen die Klippen und das bewaldete Ufer schlug. Sie hatten tatsächlich die Nachbarbucht erreicht. Das Meer versprach Freiheit, aber noch war es nicht so weit – die Gefahr, einem spanischen Patrouillenboot zu begegnen, war zu groß. Nick hatte vor, der Küste einige Meilen nach Südwesten zu folgen. Dann wollten Jim und er sich ein Floß bauen und versuchen, damit nach Norden zu gelangen, in eine britische Kolonie.
Sie waren noch nicht lange gegangen, da merkten beide, dass ihre Füße bleischwer wurden von der Strapaze. Keuchend rangen sie nach Luft, vom brennenden Durst ganz zu schweigen. Von ihren Verfolgern war weit und breit nichts mehr zu sehen und zu hören, also beschlossen die beiden, die verbleibende Nacht zu rasten.
Mit buchstäblich letzter Kraft erklommen sie einen Baum, dessen knorriger Stamm und Äste dicht bemoost waren, sodass sie ein bequemes Nachtlager boten. Jim legte sich zuerst aufs Ohr, während Nick die erste Wache übernahm; die geladene Pistole auf den Knien, starrte er hinaus in die Nacht und zwang sich, die Augen offen zu halten. Später weckte er den Freund, und während Jim wachte, versuchte Nick, ein wenig Ruhe zu finden.
Nach zwölf langen Jahren lag er zum ersten Mal als freier Mann unter freiem Himmel, und sein letzter Gedanke, ehe die Erschöpfung ihn übermannte und er in tiefen, aber unruhigen Schlaf fiel, galt dem alten Angus Flanagan.Als Nick erwachte, dämmerte bereits der neue Tag herauf – nicht mit blutrotem Horizont, der nahendes Unheil verhieß, sondern strahlend und klar wie lange nicht mehr.
Die Nacht über war alles ruhig geblieben. Die Hunde schienen ihre Spur tatsächlich verloren zu haben, und mit etwas Glück hatten die Spanier noch nicht einmal mitbekommen, wohin sich die Gefangenen geflüchtet hatten. Obwohl es weder ein Frühstück gab noch frisches Wasser – die brackige Brühe aus den Sumpflöchern war ungenießbar –, waren Nick und Jim bester Laune.
Es war ihr erster Morgen in Freiheit, und während sie ihren Marsch fortsetzten, dachten sie laut darüber nach, was sie alles beginnen würden, wenn sie erst wieder britischen Boden unter den Füßen hatten. Nicht, dass sie nicht früher schon darüber nachgesonnen hätten, aber zum ersten Mal in all den Jahren gab es tatsächlich die Möglichkeit, all die großen und kleinen Vorhaben in die Tat umzusetzen. Sie waren frei und konnten tun und lassen, was ihnen beliebte.
»Und weißt du, was ich als Erstes tun werde, wenn ich in Charleston von Bord gehe?«, erkundigte sich Jim.
»Was?«, wollte Nick wissen.
»Ich gehe in das beste Freudenhaus der Stadt und lache mir ein hübsches Mädchen an.«
»Sie werden dich in hohem Bogen rauswerfen«, orakelte Nick. »Jungs mit dunkler Haut haben dort nichts verloren, du kennst das
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