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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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natürlich wusste er, dass er sich damit selbst betrog.
    Die Hunde der Aufseher waren darauf abgerichtet, entlaufene Sklaven aufzuspüren, und sie waren reißende Bestien, die ihrer Beute keine Chance ließen. Nick und Jim hatten je eine Kugel, um sich zu verteidigen – nicht viel, wenn man es mit einer ganzen Meute blutrünstiger Tiere zu tun hatte.
    Die beiden jungen Männer verlangten ihren ausgemergelten, geschundenen Körpern alles ab. Nicht Muskelkraft war es, die sie dazu antrieb, schneller und ausdauernder zu laufen als je zuvor in ihrem Leben, sondern der pure Wille. Der verzweifelte Wunsch,diese Nacht zu überleben und die Sonne als freier Mann aufgehen zu sehen. Aber so schnell sie auch rannten, das Gebell der Hunde wurde lauter und lauter. Immer dichter kamen die Bestien heran, und auf dem schmalen Passweg gab es keine Möglichkeit, auszuweichen oder sich zu verstecken. Die Hunde hatten ihre Witterung aufgenommen, und sie würden nicht ruhen, bis sie ihre Beute gefasst hatten oder vor Erschöpfung zusammenbrachen. Und so lange würden die beiden Flüchtlinge niemals durchhalten.
    Schon fühlten die beiden stechenden Schmerz in der Brust, rangen in der feuchten Nachtluft keuchend nach Atem. Der Dschungel hüllte sie ein mit unheimlichen Geräuschen und heiseren Schreien, die von ewigem Fressen und Gefressenwerden kündeten. Wenn die Hunde über sie herfielen, dachte Nick, würde es nicht anders klingen. Aber alles in ihm sträubte sich dagegen, in den Fängen der Bestien zu enden und am Lagertor zur Schau gestellt zu werden wie der Holländer und der alte Angus. Er wollte nicht glauben, dass es sein Schicksal war, als entlaufener Sklave hingerichtet zu werden, und diese Überzeugung schenkte ihm zusätzliche Kraft.
    »Dort entlang«, raunte er Jim zu, als sie die Kreuzung zur Festung erreichten. Unendlich lange schien jener Tag zurückzuliegen, als sie hier auf Navarros Kutsche getroffen waren und er Doña Elena gesehen hatte. Wie ein ferner, entrückter Traum kam er Nick vor.
    Statt weiter dem Silberpfad zu folgen, bogen die beiden Freunde auf die Straße ab und folgten ihr in Richtung Festung. Zum einen verwirrten sie damit ihre Verfolger (denn welcher Sklave wäre so töricht, ausgerechnet in Richtung seines Herrn zu flüchten?), zum anderen gewannen sie dadurch Zeit. Ihr Ziel war die Küste jenseits der Klippen, die mit ihren dichten Wäldern undunwegsamen Sümpfen eine Unzahl von Verstecken bot, und über die Straße würden sie rascher dorthin gelangen. Nicks Plan sah vor, dass sie sich irgendwo in den Sümpfen verbargen und darauf hofften, dass die Hunde sie nicht fanden. Wenn sie bis zum Morgengrauen aushielten, durften sie wieder hoffen.
    Im Laufschritt rannten sie über die gestampfte Straße, in die sich die Fahrrillen der Kutschen und Fuhrwerke gegraben hatten. Das Gebell der Hunde saß den Freunden dabei im Nacken. Endlich erreichten sie die Stelle, von der aus man über einen steilen Abstieg in die Nachbarbucht gelangen konnte – bei Nacht ein gefährliches Unterfangen.
    »Dort hinein«, stieß Nick keuchend hervor, und sie schlugen sich in die Büsche, mussten über von Schlinggewächsen überwucherte Felsen klettern, um weiter zu gelangen. Hier kannten auch sie sich nicht mehr aus, und so wurde das Weiterkommen zu einem wirren Tasten und Suchen, das zunehmend panischer wurde, je näher das Gebell der Hunde kam. Schließlich glaubten die Freunde schon, den keuchenden Atem der Bestien durch das dichte Blattwerk zu hören.
    »Verdammt«, stieß Jim atemlos hervor, »die Viecher sind uns dicht auf den Fersen. Ich verfluche die Spanier dafür, dass sie …«
    Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick gab der morastige Boden unter seinen Füßen nach, und Jim verschwand in der Tiefe.
    Nick, der dicht hinter ihm lief, kam nicht mehr rechtzeitig zum Stehen, und so verschlang der dunkle und feuchte Abgrund, der sich unvermittelt vor ihnen auftat, auch ihn.
    Zusammen mit der Erde und dem Geröll, die sich unter ihren Tritten gelöst hatten, schlitterten die beiden auf einer ebenso feuchten wie glitschigen Rutschbahn in die Tiefe. Spitze Felsen und bizarr geformte Bäume huschten an ihnen vorbei,Schlingpflanzen und dürre Äste zerkratzten ihnen Arme und Gesichter. Vergeblich versuchten Nick und Jim, sich einzukrallen und ihre gefährliche Talfahrt zu verlangsamen – es gelang ihnen nicht. Mit rasender Geschwindigkeit ging es hinab, bis die Rutschpartie so plötzlich aufhörte, wie sie

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