Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
finster.«
»Wie bitte?«
»Ich bin Matts Großmutter«, erklärte die Frau. »Lucy Warwick. Darf ich reinkommen?«
Es war sechs Uhr, das Thermostat höher gestellt und das Haus behaglich warm. In der Zwischenzeit hatte das Telefon zweimal geklingelt, ohne dass Rachel rangegangen wäre. Sie war nicht von ihrem Stuhl aufgestanden, seit Matts Großmutter
den Kassettenrecorder eingeschaltet hatte. Aus den Augenwinkeln sah Rachel, wie der Chauffeur neben der Limousine rauchend auf und ab ging. Wahrscheinlich war dem Mann heiß, er hatte Durst und musste auf die Toilette, doch darauf konnte Rachel keine Rücksicht nehmen.
Lucy hatte sich sämtliche Höflichkeitsfloskeln gespart und Rachel gar keine Gelegenheit gegeben, ihr Kaffee oder Tee anzubieten. Sie war geradewegs ins Wohnzimmer marschiert, hatte sich gesetzt und ihre Handtasche aufgemacht. »Du hörst dir das jetzt an, Mädchen, ob du willst oder nicht«, hatte sie gesagt, den Kassettenrecorder herausgeholt und auf den Tisch gestellt. »Es gibt Dinge, die du nicht weißt über euch Tolivers und den Mann, den du offenbar frühzeitig ins Grab bringen willst. Also setz dich hin und hör zu. Danach verschwinde ich wieder, und du kannst machen, was du willst.«
Rachel hatte gelauscht, und ihr Mitleid für Percy und Tante Mary war von einem Rinnsal zu einem mächtigen Strom angeschwollen, als die Aufnahme die Tragödie ihres Lebens enthüllte. Gleichzeitig hatte sie ihre eigene kurze Geschichte erkannt, die sich in verblüffender Ähnlichkeit darüberlagerte.
»So, das wär’s«, sagte Lucy nun, nahm die Kassette aus dem Recorder, steckte sie zurück in ihre Tasche, ließ diese zuschnappen und ergriff ihren Gehstock, um aufzustehen. »Ich kann nur hoffen, dass du das, was du gerade gehört hast, bei deiner morgigen Entscheidung berücksichtigst.«
»Sie sind zu spät gekommen, Mrs Warwick. Percy hat heute angerufen, um mir seinen Beschluss mitzuteilen, und ich habe meinen Anwalt über den meinen informiert. Inzwischen hat er sicher Amos Hines in Kenntnis gesetzt.«
Lucy wurde blass. »Verstehe …«
»Das glaube ich nicht. Bitte gehen Sie noch nicht. Ich erkläre Ihnen alles.«
FÜNFUNDSIEBZIG
Atlanta, Georgia, eine Woche später
A ls Betty zum Salon ging, in dem ihre Herrin mit Freundinnen Bridge spielte, sah sie durchs Fenster, wie der Chauffeur eines schwarzen Lincoln Town Car gerade die Tür der Beifahrerseite aufmachte. Betty ließ vor Überraschung fast ihr Tablett mit Sandwiches fallen.
»Du gütiger Himmel«, sagte sie laut, stellte das Tablett auf dem Tischchen in der Eingangshalle ab und glättete ihre Schürze. »Du gütiger Himmel.«
Betty kannte ihn nur von Zeitungsfotos. Sie beobachtete, wie der Mann ausstieg, der trotz seines fortgeschrittenen Alters genau ihrem Bild von ihm entsprach. Betty hatte sich immer einen groß gewachsenen, distinguierten, elegant gekleideten Herrn vorgestellt, der Macht ausstrahlte. Ihre Ehrfurcht verwandelte sich in Bestürzung, als der Chauffeur ihm eine Vase mit einer einzelnen roten Rose reichte. Miss Lucy hasste Rosen.
Betty schloss hastig die Salontür, bevor sie sich am Eingang postierte. Der Chauffeur saß bereits wieder im Wagen und schob die Mütze ins Gesicht, als wollte er ein Nickerchen machen.
»Guten Tag«, begrüßte Betty Percy. »Mister Percy Warwick, nicht wahr?«
Er nickte. »Betty«, sagte er, als würde er sie schon Jahre kennen. »Ist meine Frau da?«
»Ja, Sir.« Betty hielt ihm die Tür auf. »Sie spielt im Salon Bridge mit ihren Freundinnen.«
»Wie jeden Sonntag?«
»Ja, Sir. Würde es Ihnen etwas ausmachen, in der Eingangshalle zu warten, während ich ihr Bescheid sage? Ich glaube nicht, dass sie … Sie erwartet.«
»In der Tat«, bestätigte Percy. »Aber sie hat sicher nichts gegen die Störung.« Er reichte ihr die Vase. »Würden Sie ihr die bitte geben?«
»Äh, Sir …« Betty verzog das Gesicht. »Sie mag keine Rosen.«
Er lächelte. »Diese schon.«
Betty ging in den Salon und schloss die Tür hinter sich. Dabei hielt sie die Vase mit der Rose ausgestreckt vor sich wie eine volle Windel. »Miss Lucy, Besuch für Sie.«
Lucy warf einen Blick auf die Rose. »Warum flüsterst du? Und was in Gottes Namen ist das?«
»Eine Rose«, klärte eine der Bridge-Damen sie auf.
»Das sehe ich selber, Sarah Jo. Wo kommt die her?«
»Von Ihrem Mann«, antwortete Betty. »Er ist in der Eingangshalle.«
Die Köpfe der samt und sonders über siebzigjährigen Damen wandten
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