Die Erbin
ließ sich in einen der Ledersessel an dem langen Tisch sinken, während Jake die Tür schloss. Roxy war natürlich in der Nähe und spitzte die Ohren.
Jake setzte sich ihr gegenüber. »Portia, wie wollen Sie Sistrunk loswerden?«
»Er soll noch für eine Weile im Gefängnis schmoren«, platzte sie in bester militärischer Tradition heraus.
Jake lachte. »Das wird nicht gehen. Ihre Mutter muss ihn feuern. Ihr Vater zählt dabei nicht, er hat kein Mandat erteilt.«
»Aber sie schulden ihm Geld.«
»Sie können den Kredit später abbezahlen. Wenn sie auf mich hört, werde ich ihr Schritt für Schritt erklären, was zu tun ist. Aber zuerst muss sie Sistrunk sagen, dass er gefeuert ist. Und Buckley auch. Schriftlich. Ich werde einen Brief formulieren, den sie nur noch zu unterschreiben braucht.«
»Lassen Sie mir ein bisschen Zeit, okay?«
»Wir haben nicht viel Zeit. Je länger Sistrunk sich hier rumdrückt, desto mehr Schaden richtet er an. Er ist auf Publicity aus und liebt die Aufmerksamkeit. Leider bekommt er die Auf merksamkeit von sämtlichen Weißen in Ford County. Und diese Leute werden unsere Geschworenen sein, Portia.«
»Eine Jury, die nur aus Weißen besteht?«
»Nein, aber mindestens acht oder neun von den zwölf.«
»Bestand die Jury für Hailey nicht auch komplett aus Wei ßen?«
»Stimmt, und sie schien mit jedem Tag weißer zu werden. Aber das war ein anderer Prozess.«
Portia trank einen Schluck aus der Dose und sah sich wieder die Regale mit den dicken Wälzern an. »Anwalt zu sein muss ziemlich cool sein«, sagte sie ehrfürchtig.
»Cool« war nicht gerade das Adjektiv, das Jake benutzen würde. Insgeheim musste er zugeben, dass es schon eine ganze Weile her war, dass er seinen Beruf für etwas anderes als langwei lig gehalten hatte. Der Hailey-Prozess war ein großer Triumph gewesen, doch für die viele Arbeit, die Belästigungen, die Gewaltandrohungen und zerrütteten Nerven waren ihm lediglich neunhundert Dollar bezahlt worden. Und dafür hatte er sein Haus und um ein Haar auch seine Familie verloren.
»Es hat seine angenehmen Seiten«, erwiderte er.
»Jake, gibt es in Clanton schwarze Anwältinnen?«
»Nein.«
»Wie viele schwarze Anwälte arbeiten hier?«
»Zwei.«
»Wo ist die nächste Kanzlei, die einer schwarzen Anwältin gehört?«
»In Tupelo.«
»Kennen Sie die Frau? Ich würde gern mit ihr reden.«
»Ich rufe gern für Sie an. Sie heißt Barbara McNatt und ist sehr nett. Barbara hat ein Jahr vor mir ihren Abschluss in Jura gemacht. Sie hat sich auf Familienrecht spezialisiert, aber auch mit Polizisten und Staatsanwälten zu tun. Sie ist eine gute Anwältin.«
»Das wäre großartig.«
Sie trank noch einen Schluck, während sie eine unangenehme Pause in ihrem Gespräch zu überbrücken versuchten. »Sie haben erwähnt, dass Sie Jura studieren wollen«, meinte Jake dann, womit er ihre Aufmerksamkeit hatte. Sie redeten ausführlich über das Studium, und Jake achtete darauf, seine Ausführungen nicht ganz so schrecklich klingen zu lassen wie seinen eigenen, drei Jahre währenden Leidensweg. Wie alle Anwälte wurde er hin und wieder von Studenten gefragt, ob er es empfehlen könne, als Anwalt zu arbeiten. Er war nie so ehrlich gewesen, mit Nein zu antworten, obwohl er viele Vorbehalte hatte. Es gab zu viele Anwälte und zu wenig gute Mandate. In den Hauptstraßen zahlloser Kleinstädte fand man eine Kanzlei neben der anderen, und in den großen Städten waren sie in den Hoch häusern im Zentrum übereinandergestapelt. Trotzdem konnte sich mindestens die Hälfte aller Amerikaner, die einen Rechtsbeistand brauchten, keinen Anwalt leisten, daher wurden noch mehr Anwälte gebraucht. Aber nicht noch mehr Firmen- oder Versicherungsanwälte und ganz bestimmt nicht noch mehr Klein stadtanwälte wie er. Jake hatte das Gefühl, dass Portia Lang es richtig machen würde, wenn sie Anwältin wurde. Sie würde ihren Leuten helfen.
Quince Lundy kam und unterbrach ihr Gespräch. Jake stellte ihm Portia vor und begleitete sie dann zum Eingang. Draußen, unter dem Vordach der Kanzlei, lud er sie zum Abend essen ein.
Die aufgrund von Kendrick Bosts Antrag auf gerichtliche Anordnung eines Haftprüfungstermins angesetzte Anhörung fand im ersten Stock des Bundesgerichts in Oxford statt, wie vorgesehen um dreizehn Uhr. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Anwalt Booker F. Sistrunk den Gefängnisoverall schon über vierundzwanzig Stunden getragen. Er war bei der Anhörung nicht anwesend, was
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