Die Erbin
Sie bitte Jake zu mir.«
»Okay. Jake. Ich habe das Fiasko gestern miterlebt, und heute Morgen bin ich wieder hingegangen, um mir in der Geschäftsstelle die Gerichtsakte anzusehen. Da habe ich das Gerücht gehört, dass sie die Anwälte aus dem Gefängnis rüberbringen.«
»Die Anwälte Ihrer Familie.«
»Genau.« Sie holte tief Luft und sprach erheblich langsamer. »Deshalb wollte ich mit Ihnen reden. Ist es in Ordnung, wenn wir über den Fall sprechen?«
»Natürlich. Genau genommen stehen wir auf derselben Seite. Es sieht zwar nicht so aus, aber fürs Erste sind wir Verbündete.«
»Okay.« Noch ein tiefer Atemzug. »Ich muss einfach mit je mandem darüber reden. Jake, während des Hailey-Prozesses war ich nicht hier, aber ich habe alles darüber gehört. In dem Jahr kam ich erst an Weihnachten nach Hause, und alle sprachen nur über den Prozess, Clanton, den Ku-Klux-Klan, die National garde und das alles. Ich fand es richtig schade, den ganzen Spaß verpasst zu haben. Aber Ihr Name ist bei uns in der Gegend gut bekannt. Vor ein paar Tagen erst hat meine Mutter zu mir gesagt, sie habe das Gefühl, Ihnen vertrauen zu können. Für Schwarze ist das nicht einfach, Jake, und in einer Situation wie dieser erst recht nicht.«
»Wir sind noch nie in so einer Situation gewesen.«
»Sie wissen, was ich meine. Hier geht es um eine Menge Geld, und wir gehen selbstredend davon aus, dass wir dabei den Kürzeren ziehen.«
»Ich glaube, jetzt verstehe ich es.«
»Als wir gestern nach Hause gekommen sind, gab es wieder Streit. Einen großen Streit, zwischen Momma und Dad, dazu ein paar überflüssige Kommentare von anderen. Ich weiß nicht, was alles passiert ist, bevor ich nach Hause gekommen bin, aber offenbar geht es um etwas Ernstes. Ich glaube, mein Dad beschuldigt sie, mit Mr. Hubbard geschlafen zu haben.« Tränen traten ihr in die Augen, und sie hörte auf zu reden, um sie wegzuwischen. »Meine Mutter ist keine Hure, Jake, sie ist eine großartige Frau, die fünf Kinder praktisch allein großgezogen hat. Zu wissen, dass so viele Leute hier glauben, sie hätte sich irgendwie in das Testament des alten Mannes geschlafen, tut weh. Das glaube ich nicht. Das werde ich nie glauben. Aber mein Vater ist eine andere Geschichte. Die beiden machen sich seit zwanzig Jahren gegenseitig die Hölle heiß, und als ich auf der Highschool war, habe ich meine Mutter bekniet, ihn zu verlassen. Er kritisiert alles, was sie tut, und jetzt kritisiert er etwas, was sie gar nicht getan hat. Ich hab ihm gesagt, er soll endlich damit aufhören.« Jake gab ihr ein Papiertaschentuch, doch die Tränen waren schon versiegt. Sie redete weiter: »Danke. Einerseits wirft er ihr vor, mit Mr. Hubbard geschlafen zu haben, andererseits ist er froh, dass sie es getan hat, falls sie es getan hat, weil es sich für ihn lohnen könnte. Sie kann nicht gewinnen. Und als wir gestern nach Hause gekommen sind, ist meine Momma wegen der Anwälte aus Memphis auf ihn losgegangen.«
»Dann hat er sie angeschleppt?«
»Ja, schließlich ist er jetzt ein großes Tier und muss sein bestes Pferd im Stall beschützen: meine Momma. Er ist fest davon überzeugt, dass die Weißen in der Gegend alle zusammenhalten und etwas aushecken, um das Testament für ungültig erklären zu lassen und das Geld zu behalten. Letzten Endes wird es doch auf die Hautfarbe hinauslaufen, warum engagiert man dann nicht gleich den größten Rassenhetzer, den es bei uns gibt? Jetzt haben wir den Schlamassel. Und er sitzt drüben im Gefängnis.«
»Was halten Sie davon?«
»Von Sistrunk? Er legt es doch drauf an, im Gefängnis zu sitzen. Das bringt sein Foto in die Zeitung, zusammen mit einer fetten Schlagzeile. Noch ein Schwarzer, der von den Rassisten in Mississippi zu Unrecht ins Gefängnis geworfen wurde. Etwas Besseres hätte ihm gar nicht passieren können. Das hätte er nicht besser planen können.«
Jake nickte und lächelte. Diese Frau war nicht so einfach hinters Licht zu führen.
»Der Meinung bin ich auch«, stimmte er ihr zu. »Es war alles gespielt. Zumindest von Sistrunk. Ich kann Ihnen ver sichern, dass Rufus Buckley nicht vorhatte, ins Gefängnis zu gehen.«
»Wie sind wir nur zu diesen Clowns gekommen?«
»Das wollte ich Sie gerade fragen.«
»Na ja, soviel ich weiß, ist mein Dad nach Memphis gefahren und hat sich dort mit Sistrunk getroffen, der, was niemanden überraschen dürfte, sofort Dollarzeichen in den Augen hatte. Also fährt er her, zieht seine Show ab, und
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