Die Erbin
schlank und fit und sah überhaupt nicht so aus wie eine typische fünfundzwanzigjährige Schwarze in Ford County. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und lächelte.
Dreißig Minuten später stand die junge Frau vor Roxys Schreibtisch und erkundigte sich höflich, ob sie ein paar Minuten mit Mr. Brigance sprechen könne. Name bitte? Portia Lang, Letties Tochter. Mr. Brigance war zwar sehr beschäftigt, aber Roxy wusste, dass es vielleicht wichtig war. Sie ließ Portia zehn Minuten warten und fand dann eine Lücke in seinem Termin kalender.
Jake führte sie in sein Büro. Er bot ihr Kaffee an, den sie aber ablehnte. Sie setzten sich in eine Ecke, Jake in einen alten Leder sessel, Portia auf das Sofa, als wäre sie zu einer Therapie gekommen. Sie ließ den Blick durch den Raum schweifen und bewunderte die schönen Möbel und das geordnete Durcheinander. Dann gab sie zu, dass es ihr erster Besuch in einer Anwaltskanzlei war. »Wenn Sie Glück haben, wird es auch Ihr letzter sein«, scherzte Jake, was ihm ein Lachen von ihr einbrachte. Portia war nervös und wollte zuerst nicht viel sagen, aber da ihr Kommen vielleicht sehr wichtig war, gab Jake sich alle Mühe, damit sie sich wohlfühlte.
»Erzählen Sie mir von sich«, sagte er.
»Ich weiß, dass Sie sehr beschäftigt sind.«
»Ich habe jede Menge Zeit, und der Fall Ihrer Mutter ist der wichtigste Fall dieser Kanzlei.«
Portia lächelte nervös. Sie setzte sich auf ihre Hände, die Füße in den gelben Laufschuhen zuckten. Endlich begann sie zu re den. Sie war vierundzwanzig, die älteste Tochter, und hatte nach sechs Jahren in der Army gerade ihren Dienst beendet. Sie war in Deutschland gewesen, als sie die Nachricht erhalten hatte, dass ihre Mutter in Mr. Hubbards Testament erwähnt werde, was aber nichts mit ihrem Austritt zu tun hatte. Sechs Jahre waren genug. Sie hatte die Nase voll vom Militär und sehnte sich nach einem Leben als Zivilistin. Sie war eine gute Schülerin an der Highschool von Clanton gewesen, doch da ihr Vater damals immer nur zeitweise Arbeit hatte, war kein Geld fürs College da. Als sie über Simeon sprach, runzelte sie die Stirn. Weil sie von zu Hause und aus Ford County wegwollte, ging sie zur Army und kam viel in der Welt herum. Seit einer Woche war sie zurück, hatte aber nicht vor, in der Gegend zu bleiben. Sie hatte genug Leistungspunkte für drei Jahre College gesammelt, wollte ihren Abschluss machen und dann Jura studieren. In Deutschland hatte sie bei der Obersten Militärstaatsanwaltschaft gearbeitet und mit Verfahren an Kriegsgerichten zu tun gehabt.
Sie wohnte bei ihren Eltern und der Familie, die übrigens aus der Stadt weggezogen seien. Nicht ohne Stolz sagte sie, ihre Eltern hätten das ehemalige Haus der Sappingtons gemietet.
»Ich weiß«, erwiderte Jake. »Wir sind eine kleine Stadt. So was spricht sich schnell rum.«
Wie auch immer, fuhr sie fort, sie bezweifle, dass sie noch länger dort bleiben werde, da das Haus zwar viel größer sei, aber der reinste Zirkus, ständig gingen Verwandte ein und aus, und überall würden Leute schlafen.
Jake hörte ihr aufmerksam zu und wartete auf eine gute Gelegenheit, überzeugt davon, dass sie kommen würde. Hin und wieder stellte er eine Frage über ihr Leben, aber er musste sie nicht oft bitten. Sie kam immer mehr in Schwung und plauderte munter drauflos. Sechs Jahre in der Army hatten die schleppende, näselnde Sprechweise verschwinden lassen und dem nachlässigen Umgang mit der Grammatik ein Ende gemacht. Ihre Aussprache war perfekt, was kein Zufall war. In Europa hatte sie Deutsch und Französisch gelernt und als Übersetzerin gearbeitet. Jetzt lernte sie gerade Spanisch.
Aus reiner Gewohnheit wollte er sich Notizen machen, was ihm aber unhöflich vorkam.
Letztes Wochenende sei sie nach Parchman gefahren, sagte sie, um Marvis zu besuchen, und er habe ihr von seinem Gespräch mit Jake erzählt. Sie redete lange über ihn und wischte sich ab und zu Tränen aus den Augen. Marvis war ihr großer Bruder und immer ihr Held gewesen, und es war ja so eine Verschwendung. Wenn Simeon ein besserer Vater gewesen wäre, wäre Marvis nie kriminell geworden. Ja, er hatte Portia gebeten, ihrer Momma zu sagen, dass sie Jake als Anwalt behalten solle. Er habe mit seinem Anwalt, Nick Norton, geredet, der gesagt habe, die Anwälte aus Memphis würden alles vermasseln.
»Warum waren Sie heute Morgen im Gerichtssaal?«, fragte Jake.
»Ich war gestern auch schon da, Mr. Brigance.«
»Sagen
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