Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)
wie das Knacken eines Blitzes, nachdem der Donner verhallt war. Sie stellte sich die alte Hohe Halle vor: die Holzgalerie der Barden, die Steinsäulen und die uralten Türen. » Dort! « , sagte sie und spürte schnell Hylcarians wortloses Einverständnis. Sie erzitterte, als das Goldene Feuer erneut in ihr aufwallte, und spürte, wie Asantirs Griff sich verstärkte, um sie aufrecht zu halten. Malian reckte sich und streckte ihre Arme erneut aus. Das goldene Licht floss an ihnen hinab; diesmal nicht, um zu zerstören, sondern um zu retten. Sie beobachtete, wie es sich flackernd um ihre Finger wand und dann wie eine feurige Ranke nach außen wuchs und schließlich eine Tür in der Luft formte. Die verbrannte Türschwelle schwebte dicht über dem Boden, und der flammende Scheitelpunkt drückte sich gegen die Decke. Innerhalb dieses Rahmens schimmerte die Luft wie ein goldener Schleier.
Dieser Schleier wurde dünner und gab den Blick auf die alte Hohe Halle auf der anderen Seite frei. Malian blickte sich um und sah eine Mischung aus Hoffnung, Müdigkeit und Erstaunen. Sie fragte sich, ob sie noch genug Kraft zum Sprechen hatte, und entspannte sich, als Jehane Mor das für sie übernahm. » Wir müssen uns beeilen « , sagte die Heroldin.
» Die Erbin muss zuerst gehen « , sagte Asantir mit eherner Stimme. Doch Malian schüttelte den Kopf. Die Tür würde sich schließen, wenn sie erst einmal hindurchgegangen war, also musste sie als Letzte gehen. Sie schloss die Augen und merkte, wie anstrengend es war, die Tür offen zu halten. Doch bald würde alles vorbei sein. Sie alle würden in Sicherheit sein.
» Achtung! « , sagte Kalan mit seltsam angestrengter Stimme. » Wir haben Gesellschaft. «
Malian öffnete die Augen und drehte langsam den Kopf. Hinter ihnen formte sich ein weiteres Portal in der Luft. Dieses bestand aus Rauch und Finsternis. Die Substanz dahinter blubberte und hob sich wie kochender Teer, nur ohne Hitze. Klirrende Kälte ging von ihrer Mitte aus und wurde von einer Welle aus unstillbarem Hunger und finsterer, getriebener Bösartigkeit begleitet.
» Die Finsterschwinge kommt « , sagte Hylcarian, » auch wenn sie durch den Kampf der letzten Nacht geschwächt sein dürfte. Die Aufständischen des Schwarms setzen alles auf eine letzte Karte. «
» Der Jäger der Finsternis « , sagte Tarathan ruhig, als ob er die Chancen ausrechnete. Malian sah pure Angst auf den Gesichtern der jungen Priester.
Asantirs Berührung auf ihren Schultern wurde schwächer. » Dann halten wir sie wohl besser auf, bevor sie hindurchkommt. «
» Sie hat recht « , sagte Hylcarian. » Selbst verwundet ist sie ein grausamer Feind – und wir können nicht lange kämpfen und gleichzeitig unser Tor offen halten. «
» Können wir nicht einfach jetzt fliehen und unser Tor hinter uns schließen? « , fragte Kalan.
Alle schauten Malian an und zwangen sich, nicht mehr zu dem tödlichen Portal hinzusehen. Doch sie schüttelte den Kopf. » Sie würde uns nur verfolgen. « Sie brauchte alle Kraft, um die Worte auszusprechen. » Wir müssen uns hier um sie kümmern. «
Wenn wir das können, fügte sie wortlos hinzu, obwohl ihre Gedanken rasten. Yorindesarinen hatte gesagt, dass nur das Blut das Goldene Feuer herbeirufen konnte, um zu töten oder zu verschlingen. In ihrem letzten Kampf gegen die Finsterschwinge war sie das einzige Mitglied des Blutes gewesen. Doch die Kraft hatte sie vor dem Ende verlassen. Malian biss sich auf die Lippe. Sie wusste, dass sie diesmal durchhalten musste. Egal, was vorher geschehen war oder aus welchem Grund es geschehen war, die Finsterschwinge war immer noch abscheulich und stark.
Neben ihr schüttelte der Wachmann namens Korin den Kopf. » Sie wird sich wohl eher um uns kümmern « , murmelte er.
» Genug! « Asantir kniff die Augen zusammen und beobachtete das blubbernde Zentrum im Tor der Finsterschwinge. Eine Gestalt nahm dort Form an: Es entstand der Eindruck von riesigen, aber noch teilweise zusammengefalteten Schwingen, zwischen denen sich ein vogelartiger Kopf zeigte. Auch Macht sprudelte aus dem halb geöffneten Portal. Sie zerrte halb verhungert an den Rändern ihrer Gedanken und suchte, forschte nach einer Schwäche. Malian erkannte, dass sie einen winzigen Riss suchte, durch den sie ihre Seelen aussaugen konnte. » Wir müssen jetzt angreifen « , sagte Asantir.
» Ja « , sagte Hylcarian. Eine Linie aus goldenen Flammen raste über den Boden zwischen den Derai und dem dunklen Tor
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