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Die Erbin Der Welt erbin1

Die Erbin Der Welt erbin1

Titel: Die Erbin Der Welt erbin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jemisin
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Großvater, das war es.«
    Dann berührte Viraine Dekartas Schulter. Uber dem östlichen Horizont stand hell und warnend ein goldener Fleck. Der Sonnenaufgang stand kurz bevor. Die Zeit für Geständnisse war vorüber.
    Dekarta nickte und sah mich dann lange schweigend an, bevor er sprach. »Es tut mir leid«, sagte er sehr leise. Eine Entschuldigung, die viele Fehltritte umfasste. »Wir müssen anfangen.«
    Selbst dann sagte ich immer noch nicht, was ich glaubte. Ich zeigte nicht auf Viraine und nannte ihn den Mörder meiner Mutter. Ich hatte noch Zeit. Ich hätte Dekarta darum bitten können, sich um ihn zu kümmern, bevor die Nachfolge vollzogen wurde, als einen letzten Tribut an Kinneth. Ich weiß nicht, warum ich es nicht tat. Doch, ich weiß es. Ich glaube, ab dem Moment hatten Rache und Antworten keine Bedeutung mehr für mich. Welchen Unterschied würde es machen, zu wissen, warum meine Mutter gestorben war? Sie wäre immer noch tot. Was würde es mir bringen, ihren Mörder zu bestrafen? Ich wäre auch tot. Würde irgendetwas davon meinem oder ihrem Tod Bedeutung verleihen?
    Der Tod hat immer Bedeutung, Kind. Du wirst es bald verstehen.
    Viraine ging langsam im Kreis durchs Zimmer. Er hob seine Hände, sah nach oben und begann — während des Gehens — zu sprechen.
    »Vater des Himmels und der Erde unter uns, Meister aller Schöpfung, höre deine bevorzugten Diener. Wir erflehen deine Führung im Chaos des Ubergangs.«
    Er blieb vor Relad stehen, dessen Gesicht in dem grauen Licht wächsern aussah. Ich konnte die Geste, die Viraine vollführte, nicht sehen, aber Relads Siegel glühte plötzlich weiß, als ob eine kleine Sonne auf seiner Stirn eingraviert wäre. Er zuckte nicht zusammen und zeigte auch sonst keinen Schmerz, obwohl das Licht ihn noch blasser aussehen ließ. Viraine nickte zu sich selbst und setzte seinen Weg durch das Zimmer fort. Dabei ging er hinter meinem Rücken entlang. Ich drehte meinen Kopf, um ihn zu beobachten. Aus irgendeinem Grund wollte ich ihn nicht aus dem Auge verlieren.
    »Wir erflehen deine Hilfe, um unsere Feinde zu überwältigen.« Hinter mir hatte Nahadoth sein Gesicht von dem stärker werdenden Licht des Tagesanbruchs abgewendet. Die schwarze Aura um ihn herum fing an, abzubröckeln, wie sie es auch in der Nacht unter Seiminas Folter getan hatte. Viraine berührte Nahadoths Stirn. Aus dem Nichts erschien ein Siegel, das ebenfalls weiß glühend war, und Nahadoth zischte, als ob es ihm weitere Schmerzen zufügte. Viraine ging weiter.
    »Wir erbitten deinen Segen für die zuletzt Erwählten«, sagte er und berührte Seiminas Stirn. Sie lächelte, als ihr Siegel entflammte. Das weiße Licht erhellte die scharfen Winkel und erwartungsvoll angespannten Ebenen in ihrem Gesicht.
    Dann blieb Viraine vor mir stehen, und der Sockel befand sich zwischen uns. Als er dahinter entlangging, wurde mein Blick wieder von dem Stein der Erde angezogen. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass er so außerordentlich unscheinbar war.
    Der Klumpen erzitterte. Nur für einen kurzen Moment schwebte dort ein perfekter, hübscher silberner Samen, bevor er sich wieder in den dunklen Klumpen verwandelte.
    Wenn Viraine mich in dem Moment angesehen hätte, wäre wahrscheinlich alles verloren gewesen. Ich verstand, was geschehen war; die Eingebung kam wie ein einziger, eiskalter Blitzschlag, und ich erkannte die Gefahr — und das war auf meinem Gesicht abzulesen. Der Stein war wie Nahadoth, wie alle Götter, die an die Erde gefesselt waren; seine wahre Form verbarg sich hinter einer Maske. Die Maske verlieh ihm ein durchschnittliches, unwichtiges Aussehen. Aber für diejenigen, die genauer hinsahen und mehr erwarteten — besonders die, die seine wahre Natur kannten —, würde er zu mehr werden. Er würde seine Form ändern, um all ihr Wissen widerzuspiegeln.
    Ich war verurteilt, und der Stein war die Klinge meines Scharfrichters. Ich hätte ihn als bedrohliches, schreckliches Ding sehen müssen. Dass ich Schönheit und Versprechen sah, war eine eindeutige Warnung an alle Arameri, dass ich mehr vorhatte, als nur heute zu sterben.
    Glücklicherweise sah Viraine mich noch immer nicht an. Er hatte sich dem östlichen Himmel zugewandt, genau wie jeder andere im Zimmer. Ich schaute von Gesicht zu Gesicht und sah Stolz, Angst, Erwartung, Bitterkeit. Letzteres gehörte zu Nahadoth, der außer mir der Einzige war, der nicht den Himmel anschaute. Stattdessen trafen sich unsere Blicke und versenkten sich

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