Die Erbin
habe Angst«, flüsterte Andromeda ihrem Mann, Archimedes Lakadonis, ins Ohr.
Der Vorsitzende des Direktorenkollegiums der Reederei stand rechts neben ihr, eine lange, dicke Kerze in der Hand. »Sie wird sich benehmen!« zischte er. »Wenigstens beim Begräbnis ihres Vaters wird sie sich benehmen können!«
»Hat Stavros es je gekonnt? Sie ist ganz seine Tochter. Wenn sie es könnte – sie würde Nany jetzt ein Messer in den Rücken stoßen.« Andromeda griff nach ihrer Kerze, zündete sie an der ihres Mannes an und faltete die Hände um den Wachsstock.
Die Stimme des Metropoliten klang dumpf. Es war, als ob die Blumen sie verschluckten.
Dann kamen die schrecklichen Minuten. Acht Freunde der Familie hoben den Sarg vom Podium und trugen ihn hinaus in den Frühlingstag. Ein mit Rosen umkränzter flacher Wagen wartete. Sie hoben den Sarg auf die Plattform und legten einen riesigen Kranz mit weißen und roten Rosen an das Fußende.
Der Kranz der Witwe.
Lyda Penopoulos wartete. Als sich niemand rührte, blickte sie sich um. Die Trauergäste waren aus der Kapelle gekommen und formierten sich zum Zug. Würdevoll schritt der Metropolit voran. Die Sonne glänzte auf seinen reich bestickten Gewändern und auf dem langen weißen Bart. Diener trugen die Kränze der Verwandten und Freunde voraus. Dazu die Kränze der Regierung, Gebinde aus aller Welt, letzte Grüße von dreiundvierzig Staatsoberhäuptern und Regierungschefs, von neunundsiebzig befreundeten Firmen. Um die Kapelle herum stapelten sich die Blumen.
Mit steifen Schritten, wie eine aufgezogene Puppe, löste sich Lyda aus der ersten Reihe und ging zu den vorderen Kränzen. »Gib her!« sagte sie zu dem Diener, der einen großen Kranz mit weißen Rosen umklammerte. Und als der sie sprachlos anstarrte, zischte sie wütend: »Laß los, du Idiot! Den Kranz her! Hörst du nicht?«
Sie bekam den Kranz mit beiden Händen zu packen und drückte ihn an sich. Wiederum mit wie automatisch gelenkten Schritten kehrte sie zu dem Flachwagen zurück, schob den Kranz der Witwe zur Seite und stellte ihre weißen Rosen an den Sarg.
»Jetzt fängt es an«, flüsterte Andromeda entsetzt und hielt sich an Archimedes Lakadonis fest. »Wir hätten sie für die Dauer der Beisetzung betäuben sollen.«
Die Witwe Nany reagierte nicht. Sie lächelte verhalten, etwas verzerrt, aber fotogen. Auf sie waren die Kameras gerichtet. Nur drei Fotoreporter waren zugelassen. Alle Fotos mußten der Familie vorgelegt und von ihr genehmigt werden, ehe sie in die Welt gingen. Die schönste Witwe des Jahrzehnts. »Ihr trauriges Lächeln war das eines Engels«, schrieb ein Reporter. »Liebe verklärt auch über den Tod hinaus.«
Lyda stand neben Nany. Sie standen allein, sie waren die ersten.
»Warum bist du noch hier?« fragte Lyda leise, aus den Mundwinkeln heraus.
»Er ist mein Mann.«
»Ein Vater ist mehr.«
»Es gibt Töchter, die zerstören ihren Vater.«
»Und es gibt Schlangen, die Gold und Diamanten fressen!«
Die Kerzenträger umringten den Sarg, der Metropolit und die vier Bischöfe nickten. Der Wagen mit dem Sarg setzte sich langsam in Bewegung, rollte, von vier Dienern gezogen, über den Kiesweg durch den Park zum Mausoleum. Die Glocke im Türmchen der Kapelle läutete ununterbrochen.
Friede deiner Seele. Gott wartet auf dich. Der Himmel ist bereit, dich zu empfangen.
Der erste Schritt hinter dem Sarg. Die erste Bewegung. Lyda musterte die Witwe aus den Augenwinkeln.
»Wenn sie jetzt geht, hält Lyda sie fest!« stammelte Andromeda entsetzt. »Mein Gott, was soll man nur tun?«
»Wir gehen zusammen«, sagte in diesem kritischen Augenblick Nany ruhig, fast gleichgültig. »Wir sind die einzigen Frauen, die er wirklich geliebt hat.«
Lyda zog den Kopf ein. Die Ohrfeige verkraftete sie stumm. Aber ihr Haß wuchs ins Unerträgliche. Sie wagt es, meine Mutter wegzuschieben: Genia, die Papa geliebt hat und daran zerbrochen ist. Sie wagt es in dieser Sekunde, sich über alle anderen Frauen zu erheben!
Der Wagen rumpelte über den Weg. Stumm schritten sie hinter dem Sarg her, nebeneinander. Nany, die Witwe, und Lyda, die Erbin.
Noch wußte es keiner. Noch war nicht bekannt, daß Stavros seiner Frau nur 45 Millionen hinterlassen hatte, daß 52,5 % des Vermögens zum Andenken an den verunglückten Sohn Perikles nach Liechtenstein gingen, in den Fonds einer ›Perikles-Penopoulos-Stiftung‹ – daß aber 47,5 % in die Hände Lydas kamen, dazu eine Garantie auf 250.000 Dollar
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