Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
Vom Netzwerk:
enden können. In der Befürchtung, daß sich bei ihm ein Minderwertigkeitskomplex fixiert, spreche ich öfter mit ihm über den Fall. Ich versuche gerade den Umstand hervorzuheben, daß in der psychischen Maschinerie des Menschen unter außerirdischen Lebensbedingungen viel leichter Störungen eintreten können als in einer wirklichen Maschine. Zu meiner nicht geringen Überraschung erfahre ich jedoch, daß Glennon etwas ganz anderes quält. Er ist überzeugt, daß seinetwegen das gespannte Verhältnis zwischen dem Kapitän Norton und O'Brien entstanden ist. Mir bleibt also nichts übrig, als weiter zu sondieren: »Was für ein gespanntes Verhältnis?« frage ich.
    »Aber Cosby, das wissen doch alle, wie es um die beiden steht.«
    »Na, und wie steht es also?«
    Glennon schweigt eine Weile und fährt dann fort: »Gosby, du willst mir Würmer aus der Nase ziehen. Ich weiß, daß das zu deinem Handwerk gehört. Du weißt doch selbst, daß die beiden einander nicht leiden können.«
    »Das ist eine kühne Behauptung«, erwidere ich. »Wenn man unter der Besatzung so spricht, dann ist das verflucht gefährlich. Wahr ist nur, daß wir alle ein bißchen krank sind.« »Am meisten bedrückt mich, daß ich die Ursache bin .. .« Ich versuche, ihn zu überzeugen, daß er sein Teil an der Schuld überschätzt. »Kapitän Norton und O'Brien sind zwar absolut verschiedene Typen, die sich aber ideal ergänzen könnten«, füge ich hinzu.
    »Könnten«, sagte Glennon bitter, »könnten, wenn sie wollten. Ich glaube, daß keiner von beiden will. Der Kapitän ärgert sich schrecklich wegen des Kompromisses. Ich möchte nicht in der Haut dessen stecken, den er als nächsten bestrafen wird.«
    Ich weiß, daß er recht hat. Und das ist das schlimmste an der ganzen Geschichte.
     
    7
     
    Die Besuche des Observatoriums erwecken in uns Gefühle, die dem Erwachen aus einem schweren Traum gleichen. In den Augenblicken, in denen im Blickfeld des Teleskops der Mars in rötlichem Licht erstrahlt, mit Einzelheiten, die wir von den durch Sonden aufgenommenen fotografischen Karten gut kennen, jene Karten, über denen uns auf der Erde der wunderwirkende Projektor der Phantasie das erregende Erlebnis unserer zukünftigen Tage projizierte, in diesen erregenden Augenblicken schwindet aus unserer Fahrt der Eindruck des Unwirklichen. Dann erwacht das Bewußtsein einer besonderen und erhabenen Einmaligkeit. Das Leben erhält einen Sinn.
    Doch wenige Stunden genügen, und man verfällt wieder in eine stumpfe Erschlaffung. Es ist mir fast schon zuwider, von den unangenehmen Gefühlen zu sprechen, die für einen normalen Menschen kaum verständlich sind. Wir aber sind nicht normal. Wir lernten zwar im Zustand der Schwerelosigkeit die Bewegungen der Muskeln beherrschen, aber nicht die Gefühlsregungen. Jede Gefühlsbewegung ohne die irdische Schwere ist überflüssig intensiv; unbedeutende Impulse rufen Erschütterungen mit unerwarteten Folgen hervor. Die Ergebnisse der Entwicklung von Millionen Jahren menschlichen Denkens unter irdischen Bedingungen können nicht in einigen Jahren der Ausbildung und mit einigen Bruchteilen von Gramm irgendwelcher Chemikalien umgemodelt werden. Die Verbindung mit der Erdzentrale war während der ganzen Zeit unseres Fluges im allgemeinen gut. Sie half uns, das Gefühl zu erhalten, daß wir immer noch zur Welt gehörten, in der Bäume wachsen, Flüsse fließen und weiße Wolken schweben. Trotzdem entstand jedesmal, wenn im Mutterschiff das rote Licht zu blinken begann, eine neue Spannung: Welche Botschaft wird in der chiffrierten Zahlenreihe enthalten sein?
    Diesmal war die Zahlenreihe außergewöhnlich lang. Der Kapitän und Silcott saßen lange in der Führerkabine am kleinen Rechengerät und vor den Navigationstabellen. Dann folgte eine komplizierte, die Korrektur der Flugbahn betreffende Operation. Wieder drehten sich die Sterne. Nach einigen Tagen kam der Radiotechniker Jenkins zu mir. Er sah elend aus und klagte über Erschöpfung wegen absoluter Schlaflosigkeit. Mit schwacher Stimme verlangte er, vom Dienst befreit zu werden. Ich maß seinen Blutdruck und prüfte seine Reaktion. Er war wirklich am Ende. Die meisten meiner Fragen beantwortete er gar nicht. Er machte einen geistesabwesenden Eindruck. Weil ich mir Mühe gab, ihm zu helfen, bei ihm selbst aber keine Spur eigener Initiative sah, und weil ich selbst schon von allem genug hatte, schrie ich ihn an und packte ihn grob an den Schultern. Die Reaktion war

Weitere Kostenlose Bücher