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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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bereit, tief gepflügt, von verunreinigendem Unkraut gesäubert, tauglich, nach dem Klee und dem Hafer im dreijährigen Fruchtwechsel wieder Getreide zu geben. Daher trieb die Angst vor den nahen Frösten, die nach diesen Sintfluten bedrohlich waren, die Landwirte zur Eile an. Das Wetter war jäh kalt geworden, ein rußfarbenes Wetter ohne einen Windhauch, mit gleichmäßigem und düsterem Licht über diesem reglosen Erdenmeer. Überall wurde gesät; ein anderer Sämann ging dreihundert Meter weiter links, zur Rechten, weiter entfernt, noch einer; und andere, noch viele andere gingen dort drüben ein in die fliehende Perspektive des flachen Landes. Kleine Schattenrisse waren das, einfache, dünner und dünner werdende Striche, die sich meilenentfernt verloren. Aber alle machten die gleiche Gebärde, ließen die Saat auffliegen, die man wie eine Lebenswoge rings um sie ahnte. Die Ebene erschauerte davon bis in die ertränkten Fernen, wo die einzelnen Säer nicht mehr zu erkennen waren.
    Jean ging zum letztenmal hinunter, als er auf dem Weg von Rognes eine große fuchsrot und weiß gescheckte Kuh erblickte, die von einem jungen Mädchen, fast noch einem Kind, am Strick geführt wurde. Die kleine Bäuerin und das Tier folgten dem Pfad, der längs der Talsenke, am Rande der höher gelegenen Flächen verlief; beiden den Rücken zugekehrt, war er wieder hinaufgezogen, und er hatte gerade die Aussaat beendet, als das Geräusch hastender Schritte und halb erstickte Schreie ihn abermals den Kopf heben ließen, während er gerade sein Sätuch aufknotete, um aufzubrechen. Die Kuh war durchgegangen und galoppierte in ein Luzernefeld, hinterdrein das Mädchen, das sich abmühte, sie zurückzuhalten. Er befürchtete ein Unglück, er rief:
    »Laß sie doch los!«
    Sie ließ aber nicht los, sie keuchte, schimpfte mit zorniger und schreckerfüllter Stimme auf ihre Kuh:
    »Coliche! Wirst du wohl, Coliche! – Ah, du Biest! – Ah, verfluchtes Mistvieh!«
    Bis jetzt hatte sie ihr noch folgen können, rennend und springend, was ihre kleinen Beine hergaben. Aber sie strauchelte, fiel ein erstes Mal, raffte sich auf, fiel aber etwas weiter wieder hin, und da das Tier wie toll davonrannte, wurde sie mitgeschleift. Nun heulte sie. Ihr Körper hinterließ in der Luzerne eine Furche.
    »Laß sie doch los, Himmelsakrament!« rief Jean immerzu. »Laß sie doch los!«
    Und er rief das mechanisch, vor Schreck, denn auch er rannte, als er endlich begriff: der Strick mußte sich ums Handgelenk geschlungen und bei jeder neuen Anstrengung fester zusammengezogen haben. Zum Gluck kürzte Jean den Weg quer über einen Sturzacker ab, langte in einem solchen Galopp vor der Kuh an, daß diese erschrocken und verdutzt plötzlich stehenblieb. Schon knotete er den Strick auf und setzte das Mädchen ins Gras.
    »Hast du dir nichts gebrochen?«
    Aber sie war nicht einmal ohnmächtig geworden. Sie stand wieder auf, tastete sich ab, hob seelenruhig ihre Röcke bis zu den Schenkeln hoch, um ihre Knie zu betrachten, die ihr brannten, und war noch so außer Atem, daß sie kaum sprechen konnte.
    »Seht, da, da tut's weh ... Trotzdem kann ich mich bewegen, es ist nichts weiter ... Oh, ich habe Angst gehabt! Auf dem Wege wäre ich zu Mus geworden.« Und sie untersuchte ihr arg mitgenommenes Handgelenk, das rot umrändert war, benetzte es mit Speichel, preßte ihre Lippen darauf und fugte erleichtert und von ihrem Schreck erholt mit einem tiefen Seufzer hinzu: »Sie ist nicht bösartig, die Coliche. Bloß seit heute früh ist es zum Rasendwerden mit ihr, weil sie hitzig ist ... Ich bringe sie zum Bullen nach La Borderie.«
    »Nach La Borderie«, wiederholte Jean. »Das trifft sich gut, ich gehe dahin zurück, ich begleite dich.« Er fuhr fort, sie zu duzen, und behandelte sie wie ein kleines Mädchen, so zierlich war sie noch für ihre vierzehn Jahre.
    Wichtigtuerisch schaute sie mit ernster Miene diesen kräftigen kastanienbraunen Burschen mit dem kurzgeschorenen Haar, dem vollen und gleichmäßigen Gesicht an, der mit seinen neunundzwanzig Jahren für sie ein alter Mann war.
    »Oh, ich kenne Euch, Ihr seid der Korporal, der Tischler, der als Knecht bei Herrn Hourdequin geblieben ist.«
    Bei diesem Beinamen, den ihm die Bauern gegeben hatten, mußte der junge Mann lächeln; und nun betrachtete er sie, war überrascht, festzustellen, daß sie beinahe schon Frau war mit ihrem kleinen festen Busen, der sich zu runden begann, ihrem länglichen Gesicht mit den tiefschwarzen

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