Die Erde
unwissend, durchdrungen von den strengsten Moralgrundsätzen, eingesperrt gehalten; und sie war nichtsdestoweniger eine unvergleichliche Herrin des Hauses geworden. Die Erziehung besagte nichts, der Verstand, der entschied über alles. Aber die große Gemütsbewegung bei Herrn und Frau Charles und die Tränen, von denen sie Überflossen, ohne sie aufhalten zu können, kamen mehr noch von diesem glorreichen Gedanken her, daß die Nr. 19, ihr Werk, ihr Fleisch und Blut, vor dem Untergang gerettet würde. Elodie und Nénesse würden mit der schönen Flamme der Jugend dort ihr Geschlecht fortsetzen. Und sie sahen das Haus bereits restauriert, wieder in Gunst gekommen beim Publikum, funkelnd, so daß es schließlich wieder über Chartres erstrahlte wie einst in den schönsten Tagen ihrer Herrschaft.
Als Herr Charles wieder reden konnte, zog er seine Enkeltochter in seine Arme.
»Dein Vater hat uns viel Sorgen bereitet, du tröstest uns über alles, mein Engel!«
Frau Charles umarmte sie ebenfalls, sie bildeten nur noch eine Gruppe, ihre Tränen rannen ineinander.
»Es ist also abgemacht?« fragte Nénesse, der eine feste Zusage wollte.
»Ja, es ist abgemacht.«
Delhomme strahlte; als Vater war er entzückt darüber, seinen Sohn auf eine so unverhoffte Weise versorgt zu haben. Und trotz seiner Vorsicht geriet er in Erregung, er äußerte seine Meinung.
»Ach, du meine Güte! Wenn ihr das nicht bedauert, wir werden das bestimmt nicht bedauern ... Nicht nötig, den Kindern Glück zu wünschen. Wenn man verdient, geht's immer.«
Auf diese Schlußfolgerung hin setzte man sich wieder, um in aller Ruhe über die Einzelheiten zu reden.
Aber Jean begriff, daß er lästig fiel. Er selber war sich inmitten dieser Herzensergießungen unbeholfen vorgekommen und hätte sich schon früher davongemacht, wenn er gewußt hätte, wie er hier fortkommen sollte. Er nahm schließlich Herrn Charles beiseite und sprach von der Gärtnerstelle.
Herrn Charles' Gesicht wurde ernst: ein Verwandter bei ihm in Stellung, niemals! Aus einem Verwandten läßt sich nichts Gutes rausholen, man kann nicht auf ihn einhauen. Übrigens war die Stelle am Vortage vergeben worden.
Und Jean ging davon, während Elodie mit ihrer klanglosen Madonnenstimme sagte, wenn sich ihr Papa böse anstelle, übernehme sie es, ihn zur Vernunft zu bringen.
Draußen ging Jean langsamen Schrittes dahin, weil er nicht mehr wußte, wo er anklopfen sollte, um Arbeit zu bekommen. Von den hundertsiebenundzwanzig Francs hatte er bereits die Beerdigung seiner Frau, das Kreuz und die Grabeinfassung bezahlt. Es blieb ihm kaum die Hälfte der Summe, er würde immerhin drei Wochen damit auskommen, dann würde er schon weiter sehen. Mühselige Arbeit schreckte ihn nicht, seine einzige Sorge rührte von dem Gedanken her, wegen seines Prozesses Rognes nicht zu verlassen. Es schlug drei Uhr, dann vier, dann fünf. Lange streifte er durch die Gegend, den Kopf vollgepfropft mit wirren Hirngespinsten, die seine Gedanken immer wieder nach La Borderie und zu den Charles zurückkehren ließen. Überall dieselbe Geschichte, das Geld und das Weib, deswegen starb man und deswegen lebte man. Nichts Verwunderliches also, wenn all sein Leid auch davon herkam. Vor Schwäche wurden ihm die Beine weich, ihm fiel ein, daß er noch nicht gegessen hatte, er ging zum Dorf zurück, entschlossen, sich bei Lengaigne niederzulassen, der Zimmer vermietete. Aber als er den Kirchplatz überquerte, geriet beim Anblick des Hauses, aus dem man ihn am Morgen verjagt hatte, wieder sein Blut in Brand. Warum sollte er diesen Schurken seine beiden Hosen und seinen Überrock lassen? Das gehörte ihm, er wollte es haben, selbst auf die Gefahr hin, daß die Prügelei wieder begann.
Bei hereinbrechender Nacht hatte Jean Mühe, Vater Fouan zu erkennen, der auf der Steinbank saß. Er kam vor der Tür zur Küche an, in der eine Kerze brannte, als Geierkopf ihn erkannte und herzustürzte, um ihm den Weg zu versperren.
»Himmelsakrament! Da bist du schon wieder ... Was willst du denn?«
»Ich will meine beiden Hosen und meinen Überrock.«
Ein gräßlicher Streit brach los. Jean bestand darauf, begehrte, den Schrank zu durchwühlen, während Geierkopf, der eine Hippe genommen hatte, schwor, ihm die Kehle durchzuschneiden, falls er über die Schwelle komme.
Schließlich hörte man Lises Stimme drinnen schreien:
»Ach, laß sein, man muß ihm seine Lumpen rausgeben! – Du würdest das Zeug nicht anziehen, das ist
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