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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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in die Rübenkammer, wo man die eiserne Bettstelle des Alten wieder aufgestellt hatte. Als sie zurückkam, schauderte sie, ihre Füße waren auf dem Fliesenfußboden zu Eis erstarrt, und sie verkroch sich wieder unter die Bettdecke, schmiegte sich eng an ihren Mann, der sie in seine Arme nahm, um sie aufzuwärmen.
    »Na und?«
    »Na und! Er schläft, er hat den Mund offen wie ein Karpfen, weil er keine Luft kriegt.«
    Schweigen herrschte, aber sie mochten noch so sehr schweigen, in ihrer Umarmung hörten sie unter ihrer Haut ihre Gedanken pochen. Diesem Alten, der immerzu nach Luft schnappte, den Rest zu geben, das war ja so leicht: eine winzige Kleinigkeit in die Kehle gesteckt, ein Taschentuch, die Finger bloß, und man wäre von ihm erlöst. Das hieße sogar, ihm eine richtige Gefälligkeit erweisen! War es nicht besser, ruhig auf dem Friedhof zu schlafen, als den anderen und sich selber zur Last zu fallen?
    Geierkopf preßte Lise immer noch an sich. Nun brannten sie beide, als habe ein Verlangen ihnen das Blut in den Adern in Brand gesetzt. Er ließ sie auf einmal los, sprang nun seinerseits mit nackten Füßen auf den Fliesenfußboden.
    »Ich werde auch mal nachsehen gehen.«
    Mit der Kerze in der Faust verschwand er, während sie, den Atem anhaltend, lauschte und mit weit aufgerissenen Augen in die Finsternis starrte. Aber die Minuten verstrichen, kein Geräusch drang aus dem Nebenraum zu ihr. Schließlich hörte sie, wie er ohne Licht zurückkam mit dem weichen Schleifen seiner Füße, so beklommen, daß er das Schnaufen seines Atems nicht zurückhalten konnte. Und er kam vor bis zum Bett, er tastete umher, um sie darin wiederzufinden, und flüsterte ihr ins Ohr:
    »Komm doch, ich trau mich nicht allein.«
    Lise folgte Geierkopf mit ausgestreckten Armen, aus Furcht, sich zu stoßen. Sie spürten die Kälte nicht mehr, ihre Hemden waren ihnen hinderlich. Die Kerze stand in der Stube des Alten in einer Ecke auf der Erde, aber sie warf genug Licht, daß man ihn erkennen konnte, wie er ausgestreckt auf dem Rücken lag und sein Kopf vom Kopfkissen gerutscht war. Er war so steif geworden, so abgezehrt vom Alter, daß man ihn ohne das mühselige Röcheln, das aus seinem weit geöffneten Munde kam, für tot gehalten hätte. Die Zähne fehlten ihm, er hatte da ein schwarzes Loch, in das die Lippen einzusinken schienen, ein Loch, über das sich beide beugten, um gleichsam nachzusehen, was auf seinem Grunde noch an Leben übrigblieb. Lange schauten sie so beide hin, Seite an Seite, und berührten sich dabei mit der Hüfte, Aber ihre Arme wurden schlaff, es war sehr leicht und dennoch sehr schwer, irgend etwas zu nehmen und das Loch zuzustopfen. Sie gingen davon, sie kamen zurück. Ihre trockenen Zungen hätten kein Wort sprechen können, ihre Augen allein sprachen miteinander. Mit einem Blick hatte Lise Geierkopf auf das Kopfkissen hingewiesen: Los doch! Worauf wartete er denn? Und er zuckte mit den Augenlidern, trieb sie statt dessen dazu an. Außer sich packte Lise jäh das Kopfkissen, klatschte es dem Vater aufs Gesicht.
    »Feiger Kerl! Müssen denn immer die Frauen alles machen!«
    Da stürzte sich Geierkopf drauf, drückte mit dem ganzen Gewicht seines Leibes zu, während sie, die auf das Bett gestiegen war, sich draufsetzte, ihre nackte Kruppe, die Kruppe einer wassersüchtigen Stute, hineingrub. Das war ein Rasen, sie wühlten beide mit den Fäusten, mit den Schultern, mit den Schenkeln. Der Vater hatte eine heftige ruckartige Bewegung gemacht, seine Beine waren mit dem Geräusch zerbrechender Sprungfedern auseinandergeschnellt. Man hätte meinen können, er springe wie ein ins Gras geworfener Fisch. Aber das dauerte nicht lange. Sie hielten ihn zu derb fest, sie spürten, wie er unter ihnen breitgequetscht wurde, wie er sich des Lebens entleerte. Ein langes Erschauern, ein letztes Zucken, dann gar nichts mehr, irgend etwas, das so weich war wie ein Lappen.
    »Ich glaub schon, daß es soweit ist«, brummte Geierkopf außer Atem.
    Lise, die immer noch kauernd dasaß, wackelte nicht mehr, sie sammelte sich andächtig, um aufzupassen, ob auch kein Lebensbeben sich ihrer Haut mitteilte. »Es ist soweit, nichts zappelt mehr.«
    Sie ließ sich mit bis zu den Hüften hochgerolltem Hemd herunterrutschen und nahm das Kopfkissen weg. Aber sie stießen beide vor Grauen einen dumpfen Schrei aus.
    »Himmelsakrament! Er ist ganz schwarz, wir sind geliefert!«
    Es war tatsächlich nicht möglich, zu erzählen, er habe sich

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